Christiane Florin – „MHG-Studie war kein Wendepunkt“

Die Vorsitzenden des Diözesankomitees, Nadine Mersch (l.) und Jan Hilkenbach (r.), im Gespräch mit Christiane Florin. Foto: Claudia Auffenberg

Von Claudia Auffenberg

Ein Geburtstagsfest ist gemeinhin eine fröhliche Angelegenheit: Torten, Geschenke, gute Laune. Nun gilt Pfingsten als das Geburtstagsfest der Kirche, das Fest, an dem der Heilige Geist kommt und alles neu macht. Doch kurz zur Erinnerung: Pfingsten hat auch mit Sturm zu tun – und welche Kraft ein solches Wetter entwickeln kann, das haben die Paderborner am 20. Mai in der eigenen Stadt erfahren. Zwar wird nun vieles neu gemacht werden, aber eben deswegen, weil der Tornado es zerstört hat.

Christiane Florin spricht Tacheles

Am Bildungshaus Liborianum, an dem vieles gerade erst erneuert worden war, richtete der Wirbelsturm erhebliche Schäden an. Kurzzeitig war unklar, wann das Haus wieder genutzt werden kann. Konkret: Kann das Diözesankomitee seinen traditionellen Pfingstempfang dort stattfinden lassen? Es konnte. Und was soll man sagen: Mit der Gastreferentin Christiane Florin holte es sich eine Art Tornadoentfacherin ins Haus. Florin ist Journalistin beim Deutschlandfunk und recherchiert seit Jahren zum Missbrauch in der katholischen Kirche. Auch mit der Situation der Frauen in der Kirche befasst sie sich seit Langem. Sie war es, die 2018 bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der MHG-­Studie Kardinal Marx, damals Vorsitzender der Bischofskonferenz, fragte, ob einer der Bischöfe sich seiner persönlichen Verantwortung gestellt und erkannt habe, er könne sein Amt nicht mehr ausüben. Marx antwortete mit einem Wort: „Nein.“

Bischöfe sehen keine persönliche Schuld

In diesem Nein, so sagte sie jetzt, kristallisierte sich „das ganze Lügen, Vertuschen, das Sich-nicht-der-Verantwortung-­Stellen, aber es war die Wahrheit“. Die Bischöfe hätten sich mit ihrer persönlichen Schuld nicht auseinandergesetzt und das, obwohl in jedem Gottesdienst ein Schuldbekenntnis gesprochen werde und „Leute wegen viel kleinerer Sünden gequält wurden“. Nach ihrer Sicht hat sich in der Kirche trotz diverser Gutachten und Studien in Sachen Missbrauch nichts geändert: „Die MHG-­Studie war kein Wendepunkt.“ Auch in den Gemeinden sei häufig kein Bewusstsein dafür vorhanden, dass die Opfer Gemeindemitglieder gewesen seien, keine Dritten.

„Die Leute können es nicht mehr hören“

Auf den Hinweis aus dem Publikum, die Leute könnten es eben oft nicht mehr hören, sagte Florin, das sei genau das Problem. Wenn sie auf einer Karte des Erzbistums Köln, in dem sie lebt, an jeden Ort eine Nadel stecke, wo es nach Auskunft des Kölner Gutachtens Missbrauch gegeben habe, dann werde deutlich: „Missbrauch ist überall. Nicht jeder Priester ist Täter, aber es ist überall, auch weil Priester immer wieder versetzt worden seien. Und wer ihn versetzte, wusste, dass es wieder Opfer geben wird.“

2019 initiierten die deutschen Bischöfe als eine Konsequenz des Skandals den Syno­dalen Weg. Zwar seien die Themen, die dort besprochen würden, richtig und wichtig, trotzdem kritisierte Florin die Art der Mitarbeit, auf die sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eingelassen habe. „Die Bischöfe lagen im Straßengraben und die Laien haben ihnen herausgeholfen“, so Florin. Zur Synodalversammlung gehören alle Bischöfe, während die Laien von Delegierten vertreten sind. Damit Beschlüsse gefasst werden können, muss es eine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe geben. „Warum ist das so? Warum werden die Bischöfe nicht zur Rede gestellt?“

„An welchem Punkt steigen Sie aus?“

Eines der Themen des Syno­dalen Weges ist die Rolle der Frauen in der Kirche, Florin spricht nur noch von „Frauendings“, weil sie die Argumente, mit denen Frauen diskriminiert würden, nur noch lächerlich findet. Diese Diskriminierung geschehe in voller Absicht und sei kein Versehen, denn sie sei Teil der kirchlichen Lehre und da­ran habe auch Papst Franziskus bislang „null Komma null geändert“. An der Gleichberechtigung könne es keinerlei Abstriche geben, so Florin und fragte die anwesenden Synodalen aus dem Erzbistum: „Wann kommt der Punkt, an dem Sie aussteigen?“

Hoffnung ja, aber bitte kein Selbstbetrug

Auf die Rückfrage, ob sie noch Mitglied der Kirche sei, sagte sie: „Na ja, man bekommt das Mädchen leicht aus der Kirche, aber die Kirche nicht so leicht aus dem Mädchen.“ Das waren schon fast erlösende Worte, war doch die Betroffenheit im Saal bisweilen mit Händen greifbar. Auch Erneuern kann ganz schön hart sein. Gibt es denn noch Hoffnung, fragte am Ende jemand. Sie sei nicht gegen Hoffnung, sagte Christiane Florin, „aber Hoffnung darf kein Synonym für Selbstbetrug sein“.

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