Friedensgebete? Friedensgebete!

Gläubige halten bei einem Friedensgebet anlässlich des Angriffs Russlands auf die Ukraine Kerzen in ihren Händen.

Seit Donnerstag vorletzter Woche wird weltweit für den Frieden gebetet. Für viele ist es das Mindeste, was sie tun können und für Christen eine Selbstverständlichkeit. Aber was ­bringen solche Friedensgebete? Wir haben nachgefragt bei Menschen aus Politik und Kirche.

„Als Christen glauben wir an das Wort und die Kraft Gottes“

Als Christen beten wir in diesen Tagen mehr denn je für den Frieden. Die Bilder aus der Ukra­ine machen uns fassungslos, und wir fragen uns, was diesen furchtbaren Angriffskrieg auf ein unschuldiges Volk und eine demokratisch gewählte Regierung denn beenden kann. 

Wir fragen uns aber auch, was diesen Krieg denn hätte verhindern können. Waren wir zu gutgläubig – im wahrsten Sinne des Wortes? Waren wir naiv? Haben wir die Gewaltbereitschaft des russischen Präsidenten unterschätzt? 

Jedenfalls sind wir am 24. ­Februar 2022, dem Tag des Kriegsbeginns in der Ukraine, nicht in einer „anderen Welt“ aufgewacht. Wir sind in der Welt aufgewacht, wie sie immer schon war, wie viele von uns sie aber schon lange nicht mehr wahrhaben wollten. Es ist eine Welt des Machtstrebens, des Bemühens um Einflusssphären und des Kampfes um Vorherrschaft, auch mit militärischen Mitteln. Die Zeitenwende der europäischen Einigung um 1989/1990 war eben nicht das „Ende der Geschichte“, sondern nur der Beginn einer ­Zwischenphase der Geschichte und relativer Stabilität. Diese Phase der Geschichte ist nun zu Ende. 

Was folgt daraus? Vor allem: Wie können wir den Frieden wiederherstellen und dort wahren, wo er immer noch besteht? Ja, als Christen glauben wir an das Wort und die Kraft Gottes. Aber als verantwortliche Politiker müssen wir auch eingestehen: Nicht jeder glaubt daran. Im Gegenteil, manch ein Despot verhöhnt uns in unserem Glauben geradezu. Deshalb sind Lichterketten, Friedensgebete und Ostermärsche trotzdem nicht sinnlos, sie geben uns innerlich Halt und bestärken uns in unserer Überzeugung, für eine gewaltfreie Welt einzutreten. Doch solange es auch andere gibt, und sie wird es immer geben, müssen wir auch zeigen, dass wir bereit sind, die Freiheit und den Frieden in allergrößter Bedrängnis auch zu verteidigen. Diese Bereitschaft müssen wir rechtzeitig miteinander verabreden und auch denen zeigen, die sich auf Frieden nicht einlassen wollen. Wir nennen das „wehrhafte Demokratie“. Und wehrhaft sollten wir bleiben, auch und gerade als Christen, die wir in der Verantwortung stehen.

Friedrich Merz
Bundesvorsitzender der CDU und Oppositionsführer im deutschen Bundestag. Seinen Wahlkreis hat Merz im Sauerland.

Mahn- und Friedensruf aus den Glockenstühlen

Die Gebetsaktionen sowie die Ini­tiative der europäischen Dombaumeisterinnen und Dombaumeister vor einigen Tagen haben mich bewegt. Kirchenglocken läuten zum Gebet. Es war ein Gebetsruf zum Frieden, der in ganz Europa hörbar war und uns aus dem Herzen sprach! Glocken vieler Dome, Kathedralen, Kirchen, Kapellen und Klöster haben aus Anlass des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine in ganz Europa geläutet. Von Norwegen bis Malta! Freikirchliche und evangelische, anglikanische und katholische Kirchengemeinden haben sich beteiligt.

Es war ein Mahn- und Friedensruf aus den Glockenstühlen, der überall hörbar war. Ob auch der russische Präsident ihn gehört hat?, frage ich mich. Hat man ihm die Meldungen und Berichte darüber vorgelegt? Auch er ist Mitglied der Kirche seines Landes. Was mögen seine geistlichen Berater ihm sagen, im Blick auf all das vom politischen Russland ausgehende Leid und Unrecht dieses Krieges? Sind sie offen für Gespräche mit ihren europäischen Amtsbrüdern und -schwestern? Wir wissen es nicht. 

Wir im Landtag Nordrhein-­Westfalen zeigen aus Anlass der 30-­jährigen Unabhängigkeit der Ukraine gerade eine bewegende Ausstellung. Ihre ersten Bilder dokumentieren Schritte in die demokratische Freiheit. Ihre letzten Bilder zeugen vom blutigen Kampf um die Verteidigung dieser Freiheit. Wir Deutsche wissen aus unserer eigenen Geschichte um Krieg und Unfreiheit. 

Stehen wir nun fest an der Seite der Bedrängten. Beten und arbeiten wir dafür, dass die Raketen, Bomben und Gewalt bald verstummen, damit wir alle den Schall jener Glocken hören, die von Frieden zeugen und davon, dass weder Leid noch Unrecht sei, wie es der Prophet Jesaja geschrieben hat.

André Kuper
Präsident des Nordrhein-­Westfälischen Landtages
und zuvor war Kuper Bürgermeister in Rietberg.

Friedensgebete: Das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit ist groß

Es ist Krieg in Europa. Die Bilder vom Krieg in der Ukraine – den Frauen, Kindern, betagten Männern auf der Flucht – treiben Menschen aller Generationen auf die Straßen und Plätze. Mahnwachen. Demonstrationen. Friedensgebete. 

Friedensgebete, die längst nicht nur in Kirchen stattfinden. Jüngst haben sich mehrere Hundert Menschen vor dem Paderborner Rathaus versammelt, um Solidarität mit der Ukraine zu zeigen, um die Nachrichten von der polnisch-­ukrainischen Grenze und von den angelaufenen Hilfsaktionen zu hören. Sie sind gekommen zum Friedensgebet, sie bleiben trotz Gebet, sie respektieren das Gebet.

Menschen nehmen teil, obwohl sie sonst nicht viel mit Kirche, dem Christsein, dem Glauben am Hut haben. Mir scheint: Das Sprechen über Gefühle, über die innere Erschütterung, über Ängste und Sorgen, das Benennen von Unrecht, von Leid und Tod hilft, das Empfinden von Ohnmacht zu überwinden. Texte wie die Psalmen der Bibel leben von der Dichte der Worte, in die existenzielle Erfahrungen gegossen sind. Sie bieten Bilder an, wo uns Sprachlosigkeit lähmt. Sie berühren durch ihre Tiefe.

Das gemeinsame Hören und gegebenenfalls auch Sprechen dieser Texte schafft eine Verbindung zwischen den Menschen: Ich bin mit meinen Gefühlen, Ängsten, Sorgen, der Empörung und Fassungslosigkeit, mit der Sehnsucht nach Frieden und meinen Hoffnungen nicht allein. In dieser krisengeschüttelten Zeit, in der durch Corona soziale Kontakte vielfach reduziert wurden, wird das Verarbeiten der bestürzenden Nachrichten zusätzlich schwierig. Umso wertvoller ist die Gemeinschaft. Das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit ist groß, um mit tiefgreifender Verunsicherung umgehen zu können.

Ein Gebet kann viele Ebenen haben. Es ist für mich innere Sammlung. Mit Dietrich Bonhoeffer gesagt: „Beten ist Atem holen aus Gott. Beten heißt sich Gott anvertrauen.“ Es ist für mich aber keineswegs Weltflucht. Beten und verantwortliches Handeln gehören zusammen. Wenn das Friedensgebet für andere „nur“ emotionaler Anker ist und Verbundenheit stiftet, dann ist es auch gut.

Sigrid Beer
Evangelische Theologin und Soziologin. Seit 2005 sitzt Beer für Bündnis 90/Die Grünen im Nordrhein-­Westfälischen Landtag.

Gott bewahrt uns nicht VOR allem Leid, aber er bewahrt und trägt uns IN allem Leid.

In Dortmund laden die Katholische Stadtkirche und das Katholische Forum montags bis samstags um 11.55 Uhr draußen im Propsteihof zu einem Friedensgebet ein – passend zu einem zeitlos starken Gedanken aus dem Gotteslob von 1975, wo es unter der Nummer 1 u. a. heißt: Der Christ hat nicht nur den Auftrag, für sich selbst zu beten; betend wird er zur Stimme der Kirche in der ganzen Welt. Gott braucht mein Gebet nicht, aber mein Leben braucht das Gebet. Gebet hat nicht die Absicht, die Welt aktiv zu verändern. Aber seine verwandelnde Kraft verändert den Menschen. 

In inhaltlicher Anlehnung an das seit dem Golfkrieg Anfang der 1990er-­Jahre tägliche Friedensgebet der Benediktine­rinnenabtei St. Scholastika in Dinklage laden wir mitten am Tag zum Gebet ein – passend zu einem Gedicht von Reinhold Schneider (1903–1958) aus dem Jahr 1936, in dem es u. a. heißt:  „Allein den Betern kann es noch gelingen, / das Schwert ob unsren Häuptern aufzuhalten / und diese Welt den richtenden Gewalten / durch ein geheiligt Leben abzuringen.“

In Anknüpfung an das Gedicht geht unser Beten um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung über den Krieg Russlands gegen die Ukraine hinaus – einige Intentionen seien exemplarisch aufgeführt: Paralympics in Peking, Klimakrise, Kirchenkrise, Corona, Missbrauchsskandale, Fußballweltmeisterschaft in Katar, Terror und Gewalt … 

Wozu das Ganze? Was soll das Beten bringen? Die Antwort hängt ab vom je persönlichen Gottesbild und Gebetsverständnis. In Anknüpfung an die obigen Gotteslob-­Gedanken antworte ich auf die Frage nach Sinn und Zweck des Betens mit folgendem Zitat aus einem mich faszinierenden Buch: Das Boot, Symbol für mich und mein zerbrechliches Leben wie für die große Gemeinschaft und ihre Probleme, hält derweil stand und kommt voran. Nicht, weil der Wind sich legt, nicht, weil es keine Probleme mehr gibt, sondern durch das leise Wunder der weiter rudernden Ruderer, die sich gegenseitig stützen und Mut machen. Gott handelt nicht als unser Ersatzmann, er holt uns nicht aus den Stürmen heraus, sondern stützt und hält uns in den Stürmen. Gott bewahrt uns nicht VOR allem Leid, aber er bewahrt und trägt uns IN allem Leid. (vgl. „Die nackten Fragen des Evangeliums“, HG: Ermes Ronchi, Verlag Neue Stadt, S. 36 f.)

Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt. (Mt 28,20b) In tiefem Vertrauen auf diese Verheißung Jesu folgen wir so in guten wie in schlechten Zeiten der biblischen Einladung: Betet ohne Unterlass. (1 Thess 5,17)

Stefan Tausch
Leiter des Katholischen Forums in Dortmund.
Tausch gehört zu denen, die in diesen Tagen Friedensgebete initiiert haben.

Mehr zum Thema Friedensgebete und Aktuelles zum Krieg in der Ukraine finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe.

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