Flutopfer und die Angst vergessen zu werden

Magdalena Walthes, Dorathea Erkeling und Erika Hankeln sind Helfer der ersten Stunde. Foto: Andreas Wiedenhaus

Die Flutkatastrophe liegt ein knappes halbes Jahr zurück. Unzählige Aktionen haben gezeigt, wie groß die Solidarität mit den Opfern ist. Doch es bleibt noch viel zu tun. Denn auch viele Helfer haben unter dem Hochwasser gelitten. Wie die Caritas-­Konferenzen in Hagen-­Hohenlimburg.

von Andreas Wiedenhaus und Martin Schmid

Hagen-Hohenlimburg. „Irgendwie hatten wir gedacht, dass wir vielleicht zu Weihnachten …“ Claudia Streusel schafft es nicht, den Satz zu Ende zu bringen. Die gerade noch so gefasst wirkende Frau bricht in Tränen aus. Erika Hankeln reicht ihr wortlos eine Packung Taschentücher. Die vage Hoffnung der 37-Jährigen, das Fest vielleicht mit ihren Zwillingen und ihrem Lebensgefährten in der eigenen Wohnung feiern zu können, hat sich heute morgen endgültig in Luft aufgelöst.

Ratten zerstörten die letzten Erinnerungsstücke

Und nicht nur das: Die letzten persönlichen Habseligkeiten, die sie bei der Flut­katastrophe im Juli retten konnten, sind Ratten zum Opfer gefallen. Handwerker hatten beim Entfernen der Sanitäranlagen offenbar vergessen, die Abflüsse zu verschließen. So kam das Ungeziefer in die Wohnung. „Man hat das Gefühl, es hört nie auf“, sagt Claudia Streusel kopfschüttelnd und blickt he­rüber zu den anderen Frauen am Tisch.

Doratea Erkeling – Für die Flutopfer bleibt sie dabei

Auch sie sind geschockt: Erika Hankeln ist Pfarrsekretärin in St. Bonifatius Hohenlimburg und im Vorstandsteam der dortigen Caritas-­Konferenz. Doratea Erkeling war jahrelang im CKD-­Vorstand aktiv und ist erst kürzlich ausgeschieden. „Doch bei der Hilfe für die Flutopfer bin ich noch dabei“, erklärt die 75-Jährige. Gemeinsam mit Erika Hankeln hat sie die Fluthilfe koordiniert. Als dritte sitzt Magdalena Walthes dabei. Am rechten Knie trägt sie eine Orthese zur Stabilisierung des Gelenks. Das Knie hat sie sich beim Abladen von Sandsäcken verletzt. Sie kennt Claudia Streusel noch aus der Schule und unterstützt sie.

Claudia Streusel – „Wir waren im Urlaub, als es passierte“

Diese hat sich wieder gefasst und erzählt weiter: „Wir waren im Urlaub, als es passierte. In einer WhatsApp-­Gruppe aus dem Kindergarten meiner Kinder erhielt ich Fotos, die zeigten, dass dieser überschwemmt war.“ „Mensch, die haben gerade noch einen neuen Boden bekommen“, habe sie noch gedacht: „Das ist aber blöd.“ Kurz darauf der Anruf ihres Vermieters, dass ihre Wohnung auch betroffen sei und dass er gerade versuche, noch etwas zu retten. „Ich konnte das zunächst nicht glauben. Das Haus liegt doch am Berg.“ Aber die Bilder, die der Vermieter schickt, zeigen unmissverständlich die Katastrophe. Durch die anhaltenden Regenfälle waren Unmengen Wasser von den umliegenden Hängen herabgestürzt: „Wir wohnen im Erdgeschoss, das Wasser ist vorne rein- und hinten wieder rausgeflossen.“

Nach dem ersten Eindruck folgte ein Blackout

Die überstürzte Rückkehr aus dem Urlaub brachte dann Gewissheit. „Zuerst war alles normal, doch hinter den Bahngleisen dachte ich nur noch ‚Oh Gott!‘“ Während viele Bereiche von Hagen und Hohenlimburg nicht betroffen waren, hatte es andere umso schlimmer erwischt. Auch wenn in der Wohnung kaum noch etwas zu retten war, griffen Claudia Streusel und ihr Lebensgefährte zu Schaufel und Wischer. „Ich habe nur noch funktioniert, genau erinnern kann ich mich nicht!“ Um die Kinder, Junge und Mädchen im Alter von zweieinhalb Jahren, kümmerten sich die Großeltern. Als ihr jemand die Frage gestellt habe: „Wo wollt ihr schlafen?“, sei ihr schließlich bewusst geworden, was eigentlich los war.

https://www.derdom.de/2021/09/04/hochwasserkatastrophe-hilfe-fuer-betroffene/

Gemeinde stellt die Wohnung zur Verfügung

Nach einem Aufruf über Face­book konnte die Familie eine Wohnung als Übergang beziehen. Allerdings höchstens bis Dezember. Claudia Streusel: „Dass wir die Wohnung bekamen, war ein Glücksfall, doch gleichzeitig saß uns die Frist im Nacken.“ Eine Lösung zeichnete sich nicht ab, bis Erika Hankeln davon erfuhr: „Im Pfarrhaus stand die Dachgeschosswohnung leer.“ Zielstrebig und unbürokratisch wurde alles geregelt, und Mitte November konnten die vier einziehen. 

Die Räume unter dem Dach sind hell und geräumig, die Einrichtung besteht aus gespendeten Möbeln. „Für 60 Euro haben wir uns eine gebrauchte Couch gekauft“, erzählt Claudia Streusel. Sie blickt hinüber zu den anderen Frauen am Tisch: „Es muss ja weitergehen!“

Caritas-Kleiderkammer stand unter Wasser

Auch wenn es sie persönlich nicht getroffen hat, wissen Eri­ka Hankeln, Doratea Erkeling und Magdalena Walthes, was das heißt: Auch die Räume der CKD der Gemeinde waren zum Teil überflutet, die Kleiderkammer hatte vollständig unter Wasser gestanden. „Dort war nichts mehr zu retten.“ Doch auch die Hilfe musste ja „weitergehen“. Die Frauen von der Caritas-­Konferenz sind geübt im Improvisieren, hatten dieses Talent schon in der Corona-­Krise bewiesen.

Der Raum, in dem sie sich mit Claudia Streusel getroffen haben, ist vollgestellt: von Bekleidung über Baby-­Nahrung und Spielzeug bis zu Hygiene-­Artikeln. Bedürftige finden Unterstützung, können auch Lebensmittelgutscheine bekommen. Doch nicht nur das: Direkt nach der Flut hatten sich die Ehrenamtlichen der CKD auf den Weg gemacht, um punktgenau zu helfen. In den besonders betroffenen Straßen gingen sie von Tür zu Tür. Doratea Erkeling: „Wir haben gefragt, was besonders nötig gebraucht wird.“ Gestaffelt nach der Personenzahl floss dann unmittelbar die finanzielle Unterstützung. Erika Hankeln: „Gott sei Dank war und ist die Spendenbereitschaft sehr groß.“ Die Zusage der ersten Spende sei schon eingegangen, bevor man gewusst habe, wo genau Hilfe nötig war.

Nur ein Brautkleid blieb übrig

Brautkleid in der zerstörten Kleiderkammer der Caritas-Konferenz Hohenlimburg
Brautkleid in der zerstörten Kleiderkammer der Caritas-Konferenz Hohenlimburg. Foto Andreas Wiedenhaus

Unterstützung braucht auf Dauer auch die Caritas-­Konferenz der Gemeinde, das macht ein Blick in die ehemalige Kleiderkammer im Untergeschoss deutlich: Ein Kleiderständer, eine Schubkarre stehen verloren in dem großen Raum, eine Zwischenwand ist halb herausgebrochen. Nur ein Brautkleid auf einem Kleiderbügel an der Wand passt nicht ins Bild. Erika Hankeln: „Das einzige Stück, das die Flut fast unbeschädigt überstanden hat. Es ist zu einer Art Maskottchen geworden, vielleicht so etwas wie ein Glücksbringer in der Not.“ In diesen Worten schwingt viel Hoffnung mit, vielleicht auch ein leiser Zweifel. Denn die Nachrichten von Solidarität und schneller Hilfe waren die eine Seite, aber es gab und gibt auch Geschichten, die für Kopfschütteln sorgen: etwa wenn Unternehmen Flutopfern kündigen, weil für die Firmen das Erscheinen am Arbeitsplatz höhere Priorität hatte als Aufräumarbeiten in der überfluteten Wohnung.

Auch wenn das Ausnahmen sind: Hier und da, so die drei Helferinnen, könne man die Angst der Flutopfer spüren, vergessen zu werden. Ihnen diese Sorge ein wenig zu nehmen, haben sie sich für dieses Weihnachtsfest vorgenomm

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