21.07.2021

„Verstehen, was im Gange ist!“

Zur Fortschreibung des Zukunftsbildes wurde im vergangenen Jahr der „Diözesane Weg 2030+“ gestartet. (Foto: pdp)

Es ist viel in Bewegung in der Kirche, manchen zu viel, anderen zu wenig. Und darüber, ob die Richtung stimmt, wird auch leidenschaftlich gestritten. In dieser Situation hat Msgr. Dr.Michael Bredeck hinter dem Zukunftsbild die Leitung des Bereiches Pastorale Dienste übernommen. Ein Gespräch mit ihm über den Sinn von Reformprozessen und die Fragen, die sich für die Zukunft stellen. 

Wie sinnvoll sind angesichts äußerer Einflüsse – also etwa der Missbrauchsskandal oder Corona – eigentlich die internen Reformmaßnahmen, mit denen Sie schon seit dem Jahr 2009 im Erzbistum befasst sind?

Die Frage kann man stellen. Die Kirche steht in einer wirklich epochalen Transformationskrise. Die Kirchenentwicklungsprozesse werden also aus Verantwortung für die Zukunft unternommen, um als Bistümer in Deutschland nicht einfach vor die Wand zu fahren. Um auf unser Bistum zu schauen, wo wir jetzt den „Diözesanen Weg 2030+“ gehen: In den nächsten zehn Jahren wird sich die Situation der Pastoral massiv verändern– auch ohne jegliche äußere Einflüsse. Da müssen attraktive und realistische Alternativszenarien entwickelt und besprochen werden. Zum Beispiel die Frage, wie eine Kirche künftig mit ganz wenigen Priestern „gehen“ wird. Um hier nur mal eine Zahl zu nennen, die zwar nicht alles sagt, aber eben doch etwas zeigt: 1995, da wurde der heutige Erzbischof Personalchef, hatten wir 1500 Priester unter 70, also im aktiven Dienst; 2040 rechnen wir mit etwa 150, das ist ein Rückgang von 90 Prozent in 45 Jahren. Alle spüren die im Gang befindliche Veränderung, und zugleich stelle ich eine Ermüdung fest und auch ein wachsendes Desinteresse an diesen Themen. Das Gefühl der Abbrüche vor allem in den Gemeinden ist dominant und der Abschied vom Gewohnten schmerzt und lähmt auch teilweise. 

Mit Dr. Bredeck sprachen Claudia Auffenberg und Patrick Kleibold

Könnte das nicht auch daran liegen, dass viele den Eindruck haben: Es tut sich einfach nichts. Seit dem Konzil reden wir über dieselben Themen?

Es kommt sicher auf die Themen an. Ich bin im Blick auf das, was ein Bistum beeinflussen kann, definitiv nicht der Meinung, dass nichts passiert, auch im Erzbistum Paderborn passiert nicht nichts. Mein Anliegen ist es, immer mehr zu verstehen, was im Gange ist, und da muss wohl der Fokus auf der Säkularisierung liegen, auf der Bedeutung von Religiosität als solcher. Die Plausibilität „unseres Produktes“, für die „unsere Firma“ steht, ist massiv in der Krise und dann auch noch „die Firma“ selbst. Interessant ist, dass die Austrittszahlen bei der evangelischen Kirche ja genauso hoch sind. Damit will ich die Kirchenthemen gar nicht abblocken, die sind wichtig, aber wenn es allein an ihnen läge, müsste die katholische Kirche in einem Verfallsprozess sein und die evangelische in einem Stabilisierungsprozess. Und das ist ja nun definitiv nicht der Fall. Deswegen muss man Säkularisierungsprozesse und die kirchenbedingte Enttäuschung der Engagierten zusammen sehen. 

Man könnte die Rolle der Priester neu definieren. Sie haben die Zahlen genannt, wenn etwa die pastoralen Räume um einen Priester herumorganisiert werden, wird es natürlich immer schwieriger. 

Die pastoralen Räume werden nicht um einen Priester herumorganisiert. Ja, sie werden von einem Pfarrer geleitet, aber das ist nicht dasselbe. Das sakramentale Amt in der Kirche wird nicht dadurch überflüssig, dass es erheblich weniger Priester gibt. Eine katholische Kirche ohne priesterliches Amt ist theologisch nicht vorstellbar. Allerdings glaube ich, der Ort der Priester im Volk Gottes muss neu bestimmt werden. Der Priester sollte nicht der Alles-Entscheider sein, ist er aber auch jetzt schon nicht. Was meinen Sie eigentlich damit: um einen Priester herumorganisiert?

Sie haben es gerade gesagt: Der pastorale Raum wird geleitet von einem Pfarrer, die Zahl der Priester ist also entscheidend und dann werden viele Dinge zentral organisiert oder aufeinander abgestimmt: die Uhrzeiten der Gottesdienste, die Kommunionvorbereitung etc. Ein pastoraler Raum als solcher ist die Arbeitsebene des Pfarrers und des Pastoralteams, hat aber mit dem Lebensraum der Gläubigen bzw. der Gemeinden doch eher wenig zu tun.

Das Pastoralteam muss seine Arbeit organisieren und hat einen Bezugspunkt, der ist das Territorium der Gemeinden. Das finde ich auch nicht weiter problematisch. Es sind aber thematische und örtliche Zuständigkeiten nötig. Die Teams sind zunächst größer geworden, die Räume sind auch größer geworden. Perspektivisch werden die Teams kleiner und die Rolle der Engagierten, die als Ehrenamtliche mitwirken, wird bedeutsamer.

„Der pastorale Raum ist definitiv nicht entwickelt worden, um die Seelsorge zu zentralisieren, aber sie muss natürlich verlässlich organisiert werden im Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt.“

Msgr. Dr.Michael Bredeck

Also keine Pfarrei XXL?

Nein! Der pastorale Raum ist das Gegenteil davon, diese Idee ist ausführlich im Zukunftsbild, Kapitel5, beschrieben. Die Idee ist: Alles, was administrativ geht, zusammenzuführen. Deswegen ist in die Infrastruktur investiert worden, es gibt zentrale Büros am Sitz des Pfarrers, es gibt Verwaltungsleitungen, aber gleichzeitig wird investiert in eine dezentrale Pastoral. In einem pastoralen Raum muss pastoral nicht alles zentralisiert werden. Aber was hauptamtlich durchgeführt wird, ist natürlich auf Personen angewiesen, die ihre Arbeitszeit und ihre Arbeitsorte strukturieren. Ehrenamtlich gibt es sehr viel Engagement, das dezentral stattfindet. Aber ich würde Ihnen zustimmen: Die Frage, wie ein großer Raum organisiert wird und wie er Beheimatung geben kann, ist wichtig. Der pastorale Raum als solcher ist in der Regel keine Beheimatungsgröße für die Gläubigen. 

Welche wäre das?

Das kann die Kirche sein, in der jemand sich wohlfühlt, der Verband, die Gruppe, der Bibelkreis, vielleicht die Gemeinde oder auch eine Einrichtung oder Initiative, die jemand mit aufgebaut hat. Auch digitale Communitys wachsen ja in ihrer Bedeutung als „Gemeinde“, zum Beispiel auch als Gebetsgruppe, und das nicht nur bei jungen Menschen. 

Sie haben eben von einem attraktiven Alternativszenario für die Kirche gesprochen. Wie könnte das aussehen?

Das bedeutet vor allem ein Bild, für das es sich zu engagieren lohnt. Im Moment habe ich oft den Eindruck, dass das Engagement in der Kirche doch sehr anstrengend wirkt. Wenn man sich engagiert, gibt es häufig etwas, über das man sich aufregen muss oder das einen traurig macht. Dazu kommt das Angefragt-Werden im eigenen Familienumfeld oder im Freundeskreis. Attraktiv wäre etwas, für das man sich gern engagiert. Schöne Gottesdienste sind attraktiv und ganz sicher auch Verlässlichkeit, also dass man wirklich weiß, was wo und wann stattfindet. Auf die Kirche muss Verlass sein. Wer sprechen möchte, soll analog oder digital die Möglichkeit dazu haben. Wenn jemand trauert, wird er damit nicht alleingelassen. Wenn jemand eine schöne Idee hat für die Kirche oder die Gemeinde, läuft er damit nicht vor Mauern. Das alles ist für mich attraktiv.

Das vollständige Interview finden Sie in der Aktuellen DOM-Ausgabe. Hier geht es zum E-Paper und zum Probe-Abo.

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