23.06.2021

Die Existenzfrage

Weihrauch im Zirkuszelt. Sascha Ellinghaus beim Segen für das neue Chapiteau. Der Messdiener hat eine Zirkus-Uniform an– was sonst an diesem Ort? Foto: Flüter

Paderborn. Die Pandemie hat die Zirkusbetriebe hart getroffen. Nach fast anderthalb Jahren des Stillstandes öffnen sie jetzt wieder ihre Zelte. Zum Neustart hat Sascha Ellinghaus, Nationalseelsorger der Zirkusleute und Schausteller, in Paderborn ein Zirkuszelt gesegnet.

von Karl-Martin Flüter

„Die Wohnstätte sollst du aus zehn Zelttüchern herstellen…“, so beginnt Pfarrer Sascha Ellinghaus die Lesung aus dem Buch Exodus, Kapitel26. Er selbst steht in einem Zelt, das sich um ihn in einem weiten Rund elf Meter hoch erhebt. Mittendrin ein kleiner Wanderaltar, hinter dem Ellinghaus trotz Hitze im vollen Ornat aus dem Alten Testament vorliest. Alles ist in bonbonfarbenes Zirkuslicht getaucht.

Vor Ellinghaus in der Manege sitzen im Halbkreis die Mitglieder der Familie Frank in ihren Zirkus-Uniformen und Artisten-Kostümen. Sie schauen auf den Priester, der unter seinem Messgewand schwitzt, auch wenn die Klimaanlage läuft. Sascha Ellinghaus soll ihr neues Zirkuszelt segnen und diese Feier soll, nein, muss, auch das Zeichen für einen Neustart sein, die Rückkehr ins normale Zirkusleben.

„17 Monate sind wir nicht aufgetreten“, sagt Juniorchef Gitano Frank. Als der Zirkus im Frühjahr 2020 aus der Winterpause kam, brach die Pandemie aus. Seitdem finden keine Vorstellungen mehr statt. Der Zirkus, ein Familienbetrieb mit insgesamt 25 Mitarbeitern, hat am Anfang eine Soforthilfe erhalten, doch die reichte nicht lange. Seit Monaten steht der Zirkus an der Detmolder Straße57 in Paderborn. Die Familie Frank lebt von HartzIV, in Zeitungsartikeln bat der Zirkus um Futterspenden für die 20 Tiere– Ponys, Pferde, Kamele und afrikanische Watussis.

Immer wieder hat der Zirkus den Neustart geplant, immer wieder musste er verschoben werden. Das soll jetzt ein Ende finden und weil die Franks wie viele Zirkusleute auf Traditionen achten, auch was die Kirche und den Glauben angeht, ist der kirchliche Segen notwendig. Sascha Ellinghaus wird das neue Zelt, das Chapiteau, segnen: 700 Sitzplätze, Klimaanlage, Lightshow inklusive. 

Sascha Ellinghaus hat alles für die Messfeier mitgebracht. Sein Transporter, der vorm Eingang steht, ist eine fahrende Sakristei, in die Altar, Messgewänder, die ganze Ausstattung für den Gottesdienst, aber auch der Pfarrbrief 2020/2021 für seine reisende Gemeinde passt. Ellinghaus ist Leiter der „Circus- und Schaustellerseelsorge“ in Deutschland und eigentlich immer auf Achse. 1998 in Paderborn zum Priester geweiht, war er Pfarrer in Dortmund, bevor er „Nationalseelsorger“ der Zirkusleute und Schausteller wurde. Sein Büro ist bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn angesiedelt, aber seine Gemeinde trifft er auf den Kirmesplätzen und in den Zirkuszelten wie hier in Paderborn.

Sascha Ellinghaus weiß, dass die Segnung für die Familie Frank wichtig ist. Entsprechend viel Aufmerksamkeit und Zeit nimmt er sich. Nach anderthalb Jahren in erzwungener Isolierung stellt sich die Existenzfrage. Wird das Publikum zurückkommen oder ist es nach den Monaten Lockdown entwöhnt von realer Unterhaltung und zieht die Streamingkanäle zu Hause vor?

Das neue Zelt ist bereits eine Anpassungsmaßnahme an veränderte Zeiten. Der Circus Arena war früher der Circus Paul Busch, der sich aufteilen musste. „Zehn Familien haben von diesem einen Zirkus gelebt, das war nicht mehr möglich“, sagt Gitano Frank. So sind zwei neue, kleinere Zirkusbetriebe entstanden, die jeder für sich weniger Umsatz brauchen und deshalb leichter über die Runden kommen.

„Wir bieten ein klassisches Zirkusprogramm“, sagt Gitano Frank: Tiere, das Todesrad, in dem er selbst mit seinem Bruder Markus unter der hohen Zirkuskuppel artistische Kunststücke vorführt, Clowns, Jonglage. In Paderborn kommen 100 Zuschauer zur Premiere, trotz tropischer Hitze. Das ist ein Anfang unter nochmals erschwerten Bedingungen. „Die Hitze ist nicht gut für uns“, sorgt sich Gitano Frank. Die Leute haben bei dem Wetter anderes im Kopf als einen Zirkusbesuch.

Doch der Terminplan steht. In den kommenden Monaten geht es vor allem durch Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Der Circus Arena wird einfach weitermachen, im Vertrauen auf den Segen Gottes und auf die Familie. Die Familie ist wichtig, zusammen lässt sich alles überstehen. Mit Haken solle man die Zelttücher für die Wohnstätte verbinden, endet die Lesung aus dem Buch Exodus, „eines mit dem anderen; so soll die Wohnstätte ein Ganzes bilden.“

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