17.04.2020

Geisterstimmung auf dem Pilgerweg

In dieser Gasse, die an den Absperrgittern der Kathedrale von Pamplona entlangführt, finden sich sonst viele Jakobspilger ein. Foto: Drouve

Santiago de Compostela. Es ist täglich dieselbe Zahl, die derzeit auf der Webseite des Pilgerbüros der spanischen Wallfahrtsstadt Santiago de Compostela unter „Pilgerankünfte gestern“ erscheint: die Null. Diese „Null“ der Ankömmlinge mag in den Zeiten des Jakobswegbooms vor vielen Jahren vielleicht mal als Ausnahme an einem Wintertag vorgekommen sein– nun ist sie von trauriger Dauer. Durch die Corona-Pandemie ist mit dem Zusammenbruch des öffentlichen Lebens in Spanien auch der Betrieb auf dem Jakobsweg komplett zum Erliegen gekommen. Zumindest vorläufig.

von Andreas Drouve

Die Räder stehen still. Das Leben in Spanien gleicht einer Schockstarre. Seit Mitte März herrscht Alarmzustand und damit Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Straßen, Plätze und Gassen liegen wie ausgestorben da. Die Schulen sind geschlossen, Kneipen und Restaurants. An den Tischen von Terrassencafés lassen sich höchstens Tauben nieder. Derlei Einschnitte ins Alltagsleben sind für Südländer fast noch schwerer verkraftbar als für Mitteleuropäer. Denn sonst begreift man Lokale und öffentliche Plätze als verlängerte Wohnzimmer. Nun ist man gezwungen, die Zeit weitgehend im echten Wohnzimmer rumzukriegen. Irgendwie.

Ein Land im Alarmzustand

Nur wer das Notwendigste einkaufen, zum Arzt oder zur Arbeit muss, darf das Haus verlassen. Mehr als eine Person gilt bereits als illegale Gruppe. Wer zum Vergnügen spazieren geht oder Sport treibt, riskiert Bußgelder in Höhe von einigen Hundert Euro oder gar eine Inhaftierung. Toleriert werden dagegen Kirchenbesuche. Es gibt Gotteshäuser, die weiterhin öffnen, damit man für ein Gebet hineinhuschen kann. So wie die Kathedrale in Pamplona, der größten Stadt am Jakobsweg nach Santiago de Compostela.

Doch in der Praxis nehmen das Angebot nur wenige Seelen wahr. Die Weihwasserbecken sind leer, kaum jemand findet sich auf den Bänken ein. Die Stimmung drinnen ist so gespenstisch wie draußen. Ein fast unwirklicher Kokon der Stille. Alles Weitere ist in den Kirchengemeinden ebenfalls anders als sonst. Hochzeiten und Taufen werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Messen finden, wenn überhaupt, hinter verschlossenen Toren ohne Teilnehmer statt– so zumindest die weit verbreitete Meinung. Stichproben zeigen, dass dies nicht flächendeckend stimmt. Man kann vereinzelt, ohne Kontrollen, zu Messen hinein. Die Beteiligung ist indes spärlich, die heilige Kommunion wird nicht verteilt.

Was fortlebt, ist der Glaube an ein Ende der Krise. Doch niemand kann absehen, ob sich die Lage weiter verschärft. Der von der Regierung ausgerufene Alarmzustand dauert nach derzeitigem Stand bis zum 26. April.

Verwaister Weg, geschlossene Herbergen

Den Jakobsweg einmal verwaist zu sehen– das ist ein Bild, das selbst Berufspessimisten vor dem Hintergrund des ungebremsten Booms niemals für möglich gehalten hätten. Und das, nachdem das Pilgerbüro von Santiago de Compostela zu Jahresbeginn noch einen neuen Rekord für 2019 vermeldet hatte. 347578 eingetroffene Pilgerinnen und Pilger erhielten dort im Vorjahr ihr Diplom. Das waren nachweislich so viele wie niemals zuvor. Zwar wurden im Mittelalter, als der Jakobsweg erstmals boomte, keine Statistiken erstellt, doch eine Zahl wie diese dürfte damals nie erreicht worden sein. Der Auftakt des Zulaufs in diesem Jahr knüpfte nahtlos an und ließ an ein weiteres Rekordjahr denken. Im erfahrungsgemäß schwächsten Monat Januar wurden bereits 1999 Ankömmlinge registriert, einige Hundert mehr als im Jahr zuvor. Und jetzt: Corona, die Katastrophe.

Spaniens Pilgerherbergen haben Mitte März die Schotten dicht machen müssen. Dazu zählte auch die Herberge „Casa Paderborn“, die in Pamplona von ehrenamtlichen Herbergsleitern– spanisch: „Hospitaleros“– der Jakobusfreunde Paderborn unterhalten wird.

Die Wochen und Tage vor der Schließung ließen Unheilvolles erahnen. Heino von Groote, der Vorsitzende des Paderborner Freundeskreises der Jakobuspilger, blickt zurück: „Unser Verein und die Hospitaleros haben sich bereits im Januar und Februar Gedanken gemacht, was wir in der ‚Casa Paderborn‘ gegen eine Ausbreitung des Virus tun könnten.

Zunächst wurden verschärfte Hygienemaßnahmen umgesetzt: Umarmen und Handschütteln wurde verboten, mehr Desinfektionsmittelspender, Flächendesinfektionen usw. Später wurden die Pilger nur noch einzeln in Zimmern untergebracht, ausgenommen Gruppen, die sowieso engen Kontakt hatten.“

Visionär war die Vorahnung von Pilgern, wie sie Simone Felden aus dem Herbergsbetreuerteam Mitte der zweiten März-Woche notierte: „Heute haben sich die ersten Pilger aus unserer Casa Rückflüge von Pamplona nach Frankfurt gebucht. Sie haben Angst, dass sie hier in ein paar Tagen nicht mehr wegkommen.“ Kurz darauf kam der Aufruf einer internationalen Pilgerbruderschaft, die Pilger mögen den Weg unverzüglich abbrechen– und am selben Nachmittag die behördliche Anordnung der Schließung der Herberge. Zu diesem Zeitpunkt befand sich ein englisches Ehepaar drinnen, das zwei Stunden zuvor eingetroffen war und nach Absprache mit der Stadtverwaltung die Möglichkeit gehabt hätte, die darauffolgende Nacht zu bleiben.

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