„Die Leute haben ganz andere Sorgen“

Dom-Interview mit dem Paderborner Pastoraltheologen zum nachsynodalen Schreiben

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Prof. Herbert Haslinger lehrt Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät. Foto: Fakultät
veröffentlicht am 06.03.2020
Lesezeit: ungefähr 4 Minuten

Was bedeutet das nachsynodale Schreiben „Querida Amazonia“ für die Zukunft des Priesteramtes bzw. für die Reformen der Kirche, die oft daran festgemacht werden? Die Bewertungen sind sehr unterschiedlich. Die einen sprechen vom Ende des Synodalen Weges, die anderen betonen, Franziskus habe keine Türen zugeschlagen. Der Dom sprach darüber mit dem Paderborner Pastoraltheologen Herbert Haslinger.

Herr Prof. Haslinger, es gibt inzwischen sehr verschiedene Deutungen des nachsynodalen Schreibens, besonders auch der Punkte, die uns in Deutschland interessieren. Was nun?

Ich bin ziemlich ratlos. Den Text kennzeichnet eine eigenartige Widersprüchlichkeit. Der größte Teil, in dem es um Bewahrung der indigenen Kulturen, Ökologie, soziale Gerechtigkeit, interkulturelle Begegnung und Inkulturation des Glaubens geht, ist beeindruckend, zustimmungswürdig und lehrreich. Der ganz anders geartete kürzere Teil zu den kirchlichen Ämtern und Aufgaben wird in Hinblick auf die bei uns diskutierten Fragen– Zulassung von Frauen und verheirateten Männern zum Priesteramt– sicher als große Enttäuschung empfunden.

In der Einleitung weist der Papst auf das Abschlussdokument der Synode hin, in dem ja weitere Schritte zu diesen Themen empfohlen werden. Er greift sie zwar nicht selbst auf, stellt das Papier aber offiziell vor und lädt ein, es zu lesen. Sind damit Freiräume eröffnet?

Bei sehr optimistischer Deutung könnte man es so sehen, weil die Frage der Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt überraschenderweise gar nicht thematisiert wird. Die Diktion der Aussagen legt aber nahe, dass der Papst die bestehende Regelung beibehalten möchte. Der Zulassung von Frauen zum Priesteramt erteilt er allerdings eine sehr deutliche Absage.

Er plädiert für mehr Macht und Einflussmöglichkeiten von Frauen, nur die Weihe lehnt er ausdrücklich ab. Will er vielleicht etwas ganz anderes? Haben wir irgendwas nicht verstanden?

Der Papst will meinem Eindruck nach nicht etwas ganz Neues, sondern verbleibt leider bei einem alten Muster kirchlicher Reformdiskussionen. Er insistiert als Erstes darauf, dass sich am Ausschluss der Frauen vom Priesteramt nichts ändert; dieser Pflock wird eingerammt, als ob darüber nicht mehr zu diskutieren wäre. Dann spielt er den Ball an die Frauen zurück und richtet an sie den Appell, sie sollten vermehrt ihre „spezifisch weiblichen Dienste“ in das kirchliche Leben einbringen. Das bedeutet: Statt Veränderungen bei den kirchlichen Strukturen und Ämtern vorzusehen, werden Anforderungen der Problemlösung den Frauen aufgebürdet.

Die Frauen will der Papst vor Klerikalismus schützen.

Ja, dieses Argument ist ein Widerspruch in sich: Der Papst signalisiert, dass er den Klerikalismus gemeinsam mit den Frauen als Fehlhaltung empfindet; er benutzt aber das Argument gerade dazu, eine klerikalistische Struktur zu festigen, nämlich den Ausschluss der Frauen.

Es geht ihm, so schreibt er, nicht darum, einfach die Zahl der Amtsträger zu erhöhen, sondern darum, das Leben in den Gemeinden neu zu wecken. Hat er damit nicht Recht?

In der Tat sollte das Reden über kirchliches Leben nicht auf die Amtsträger fixiert sein. Aber der Papst lässt seine Ausführungen selber auf das Anliegen zulaufen, den Gläubigen in Amazonien eine häufigere Eucharistiefeier zu ermöglichen. Damit liegt automatisch die Frage nach den Zugangsbedingungen zum Priesteramt auf dem Tisch. Und der Papst hat sicher gewusst, dass ein Großteil seiner Leser hierzu einen Bescheid von ihm erwartet. Deswegen kommt mir die Aufforderung, dass die Laien jetzt in der Kirche mehr Aufgaben übernehmen und „stabile Präsenz in der Fläche“ zeigen sollen, als eine Ableitung des Problemdrucks vor. Diese Argumentation, das wissen wir aus unseren hiesigen Diskussionen um pastorale Strukturen, ist verbraucht und wirkt nicht mehr überzeugend.

 

Das ganze Interview gibt es im Dom Nr. 10 – jetzt den Dom im unverbindlichen Probeabo bestellen!

 

Zur Person

Herbert Haslinger, Jahrgang 1961, ist seit 2002 Professor für Pastoraltheologie, Homiletik, Religionspädagogik und Katechetik an der Theologischen Fakultät Paderborn, davor arbeitete er wissenschaftlich an den Unis in Mainz und Rottenburg-Stuttgart, ehrenamtlich war er lange Jahre Diözesanleiter der Jugendverbände in der Gemeinschaft Christlichen Lebens (J-GCL) in Passau sowie Firmkatechet und Pfarrgemeinderatsvorsitzender seiner Heimatgemeinde in Niederbayern.

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