19.02.2016

Wir passen in das Zukunftsbild

Das Handy hat auch die Arbeit der Telefonseelsorge verändert. Foto: i-vista / pixelio

Im Interview mit dem DOM nimmt der Leiter der TelefonSeelsorge Dortmund, Michael Hillenkamp, zu verschiedenen Aspekten der Telefonseelsorge Stellung. Das Interview führte Matthias Nückel.

Frage: Herr Hillenkamp, die Telefonseelsorge begann 1956 eher bescheiden. War das Erzbistum Paderborn von Anfang an dabei?

Michael Hillenkamp: Ganz so schnell waren wir katholischerseits nicht, dazu musste erst das II. Vatikanische Konzil die Fenster zur Welt aufstoßen. Mit der Synode der deutschen Bistümer zu Beginn der 70 er Jahre war die Zeit reif. Nachdem in Dortmund die evangelische Kirche von Westfalen 1965 die erste TelefonSeelsorgestelle in Westfalen gegründet hatte, begannen von katholischer Seite initiierte oder mitgetragene Stellen 1974 in Bielefeld und Hagen mit ihrer Arbeit; damals inspiriert von Pfarrer Bruno Schnaas, der wichtige Weichen in der Diözese und darüber hinaus gestellt hat.

Wurde bei der TelefonSeelsorge auch im Erzbistum von Beginn an ökumenisch zusammengearbeitet?

Die sechs Stellen im Erzbistum wurden in den Jahren 1974 – 1986 gegründet. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Stellen ökumenisch verantwortet oder „nachgerüstet“. Zwei Stellen auf dem Gebiet des Erzbistums sind auch heute noch „rein evangelisch“ finanziert, aber auch dort wird ganz selbstverständlich konfessionsverbindend zusammengearbeitet.

Wie funktioniert TelefonSeelsorge in der Praxis technisch? Wie viele Niederlassungen gibt es im Erzbistum Paderborn? Und gelangen Anruferinnen und Anrufer aus dem Erzbistum immer zu Ansprechpartnern in ihrer Nähe?

Wir spüren die Rasanz technischer Veränderungen ganz unmittelbar. Megacalling, Datenschutz, VOIP, ACD, Datentunnelung, Onlinedienstpläne, home office, Auftragsdatenverwaltung usw. sind alles Begriffe, die im Hintergrund eine hohe Relevanz für die Arbeit haben. Für unsere Anrufenden ist aber wichtig, ob und wie sie uns erreichen können.

Ganz praktisch ist jeder Anrufende über die Vorwahlnummer des eigenen Ortes einer TelefonSeelsorgestelle zugeordnet. Diese Regionalisierung funktioniert auch bei den Handys von TELEKOM und VODAFONE. Die Technik garantiert, mit jemandem zu reden, der sich vor Ort auskennt. Damit wir möglichst gut zu erreichen sind, setzen wir seit einiger Zeit eine Technik ein, die bei „besetzt“ den oder die Anruferin automatisch an eine nahegelegene freie Stelle weiterleitet.

Der Ursprungsgedanke des Gründers der TelefonSeelsorge war es, suizidgefährdeten Menschen zu helfen. Welche Rolle spielt dieses Thema heute bei Ratsuchenden?

Auch heute gehören Anrufe von suizidgefährdeten Menschen ganz zentral zu unserer Arbeit; gerade über solche Gedanken kann fast niemand im eigenen Umfeld offen reden. Wir werden heutzutage öfter als früher von Männern 60+ sowie von Jugendlichen, die massive Gewalt- und Missbrauchserfahrungen erleiden mussten, in Anspruch genommen. Gerade für junge Menschen ist unser Chatangebot eine ganz wichtige Möglichkeit, „Unsagbares“ auszudrücken.

Wie schwierig ist es für die TelefonSeelsorger/innen, damit umzugehen?

Solche Gespräche stecken Mitarbeitende, die sich ja gerade mit ihrer „Empfindungsfähigkeit“ auf Menschen einlassen, nicht so einfach weg. Hier hilft die Ausbildung und die Einbindung in unser internes Unterstützungssystem. Die Mitarbeiterin kann sich entlasten; und trotzdem bleibt manches in den Kleidern hängen. Das ist bei unserer Arbeit leider unausweichlich.

Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Haben sich auch die Hauptgründe für einen Anruf bei der TelefonSeelsorge verändert?

Wenn ich an das Telefon der 70 er Jahre und die Medienkommunikation heutzutage denke, liegen Welten dazwischen. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, in der noch in jeder Telefonzelle stand: „Fasse Dich kurz. Ein Telefon kann Leben retten“. Heute telefonieren wir mit einer flat rate so lange wir wollen; mit dem Handy sind wir an jedem möglichen und unmöglichen Ort erreichbar, im Internet treten wir per Mail oder Chat in Kontakt. Das hat selbstverständlich massive Auswirkungen auf unser Verhalten und die Art wie oft, mit wem,
worüber wir über etwas reden.

Heutzutage werden die meisten Anrufe mit Menschen geführt, die von unseren psychosozialen Einrichtungen immer unzureichender unterstützt werden können. Hier kompensiert die TelefonSeelsorge – und das oft nur unzulänglich – große Versorgungslücken im Gesundheitssystem.

Es gab eine Zeit, in der Telefonseelsorger/innen stark über Belästigungen durch Anrufer klagten. Ist dies weniger geworden?

Ich möchte dazu unsere Statistik gar nicht bemühen. Aber, und das ist wichtig: Wir haben unsere Mitarbeitenden sehr dabei unterstützt, selbstbewusst und eindeutig mit missbräuchlichen Anrufern und Belästigungen umzugehen. Niemand sollte sich anschreien oder beschimpfen lassen; die Mitarbeiter können erwarten, dass sie respektiert werden. Dies unabhängig davon, „welche schwere Kindheit“ der oder die Anruferin auch immer hatte.

Der Dienst bei der TelefonSeelsorge ist sicher nicht leicht. Wie werden die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützt?

Hier haben wir uns über Jahrzehnte einen hervorragenden Platz in der Arbeit mit Ehrenamtlichen erworben. Wir achten auf die Eignung zu dieser schon sehr spezifischen Arbeit. Alle Mitarbeitenden erhalten eine anspruchsvolle und umfangreiche Ausbildung und sind eingebunden in eine kontinuierliche Supervisionsgruppe. Es werden verschiedenste Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten. Als Hauptamtliche stehen wir für die Mitarbeitenden zur Verfügung. Erst dieser Hintergrund macht die Arbeit verantwortbar.

Finden Sie immer noch genügend Frauen und Männer, die sich für diesen Dienst bereit erklären?

Da wir einen guten Ruf haben und das „Geben und Nehmen“ stimmt, sieht es im Moment noch recht gut aus. Jede Stelle benötigt 70 – 90 ehrenamtlich Mitarbeitende, um den Dienst über das Jahr hinweg sicherstellen zu können. In unserem Erzbistum sind somit über 500 Menschen bei uns engagiert tätig, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auch in andere gesellschaftliche Bereiche tragen.

Herr Hillenkamp, was ist Ihr größter Wunsch für die Zukunft der TelefonSeelsorge?

Wir werden von Kirche und Gesellschaft in Anspruch genommen, sehr wertgeschätzt und respektiert; wir passen geradezu idealtypisch in das Zukunftsbild der Erzdiözese. Ich wünsche mir, dass dies so bleibt. Was wir mittlerweile unbedingt brauchen, ist eine merkbare und deutliche Unterstützung unserer Arbeit auf Bundesebene. Hier bleibt die „Marke“ TelefonSeelsorge mit ihrer Expertise und ihrem „Know-how“ weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Es würde beide Kirchen zusammen bundesweit etwa so viel kosten wie ein kleinerer Kindergarten; das sollte machbar sein.

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