03.04.2019

Immer nur die anderen?

Steine zu einem Herz gelegt, nicht zum Töten geworfen. Foto: David W./photocase

Auch als Christen sind wir versucht, mit dem moralischen Finger auf andere zu zeigen.

von Klaus Fussy

Im Schuldzuweisen sind viele groß. „Der hat …“ „Sie ist …“ Das können viele gut. Es weist von sich selbst weg. Der/die andere war es, ich nicht. „Ich wasche meine Hände in Unschuld.“ Hier, im Evangelium, stand sogar das Recht auf ihrer Seite. Da steht es eindeutig: „Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat und die Frau.“ (Dtn 22,22) Hier wurde die Frau ertappt – und zwar auf frischer Tat.

Ganz gleich! Der Tatbestand ist klar. Warum stellen sie sie vor Jesus – und dazu noch in die Mitte? Sie stellen sich um sie herum. So kann sie nicht entrinnen. Erwarteten sie, dass auch er auf frischer Tat ertappt wird – nämlich: Wie er gegen das Gesetz spricht? Sie wollten einen Grund haben, um ihn anzuklagen.

Jesus sagt zunächst gar nichts. Er stimmt auch in keine Aufgeregtheiten ein. Er ­bückt sich und schreibt mit dem Finger in den Sand, ein seltsam anmutendes Verhalten. Jeremia 17,13 kann dies erklären: „Du Hoffnung Israels, Herr. Alle, die dich verlassen, werden zuschanden, die sich von mir abwenden, werden in den Staub geschrieben.“ Das bedeutet, ihre Namen verschwinden wie der Staub, der vom Wind verweht wird. Wer ist dann damit gemeint? Die Frau? Die Pharisäer und Schriftgelehrten?

Dann richtete er sich wieder auf – und sagt einen einzigen Satz: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Die Frau beachtete er in keiner Weise. Sie stand weiter in der Mitte. Die Religions- und Gesetzeshüter spricht er an. Für die Frau bleibt die Situation weiterhin bedrohlich. Ist nicht doch einer unter ihnen, der sich für sündlos erklärt? Da fühlen sie sich getroffen – nicht von Steinen, sondern von einem einzigen und kurzen Satz. Der trifft mehr als alles andere.

Wer ist schon ohne Sünde? Gerade Schuldzuweisungen machen das deutlich! Sie sind oft genug reine Projektion – von mir weg zu anderen hin. Dann bin ich fein raus. So nicht! Jesus wirft diese Männer auf sich selbst zurück. Die Botschaft haben sie verstanden. So schleichen sie sich davon: die Ältesten zuerst, und Jesus bleibt alleine zurück – zusammen mit der Frau. Jetzt erst sieht er sie an, schaut ihr ins Gesicht: „Hat dich keiner verurteilt?“ Keiner! „Auch ich verurteile dich nicht.“

Keine Frage: Sünde bleibt auch für Jesus Sünde. Aber er trennt sie ab vom Sünder. Es geht nicht um Verurteilung, Festlegung und Fixierung. Jesus eröffnet Zukunft. Die Todesstrafe der Steinigung hätte alles beendet. Tod ist Tod und verändert nichts.

Jesus steht für einen Gott, der für Leben einsteht, und für Wandlung und Veränderung, und dafür, dass alles neu wird. Welche verheißungsvolle Zusage! „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Oder: Verfehle deinen Weg, dein Ziel nicht. Fang neu an – nämlich zu leben!

So ist Gott!

Er setzt neu auf die Spur. Keiner ist verloren: kein verlorenes Schaf, kein verloren geglaubter Mensch. Auch die anderen, die Besserwisser, die sich besser fühlen als die anderen, sind nicht verloren. Jesus hielt ihnen ja keine Strafpredigt. Sie verstanden diesen einen Satz. Er reichte, um über sich nachzudenken. Und das lockt das Neue schon hervor. Alle können, dürfen ihr Leben neu in die Hand nehmen.

Dafür ist auch diese Zeit da: Zeit der Umkehr und der Buße und das heißt: Zeit des Neu­anfangs und der Erneuerung. Gott gibt uns immer eine neue Chance, dass wir das Leben neu lernen. Das durften sie verstehen: die Frau – und auch die gelehrten Herren. Und auch wir!

Zum Autor:

Pfarrer Klaus Fussy ist Dechant des Dekanates Bielefeld-Lippe und Pastor im Pastoralverbund Bielefeld-Ost.

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