23.10.2020

Wie die Vespa den Wiederaufbau der Seelsorge nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte

Die Vespa war bei Priestern und Gläubigen beliebt. Foto: beachgirl/ Pixabay

Zündschlüssel umdrehen, Benzinhahn öffnen und ein paar beherzte Fußtritte auf den „Kickstarter“ – schon springt sie an, die Vespa mit ihrem knatternden Zweitaktmotor. Kaum ein Fahrzeug ist weltweit so bekannt und verkörpert die italienische Lebensart wie der legendäre Motorroller mit seiner charakteristischen Form. Bevor das Automobil massenhaft die Straßen eroberte, verlieh die millionenfach verkaufte Vespa vielen Menschen eine neue Mobilität. So auch den Geistlichen, die mit dem Fahrzeug in der noch jungen Bundesrepublik ihren Seelsorgeauftrag besser wahrnehmen konnten. Mit Motorrollern hielt so mancher Kaplan oder Pfarrer gerade in ländlichen Regionen den Kontakt zur Gemeinde. Wie die Vespa zum Wiederaufbau der Seelsorge nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat, lässt ein Blick in die Geschichte erahnen.

Kostengünstiges Verkehrsmittel für den Massenmarkt

Bereits 1945, als das gesellschaftliche Leben auch in Italien stark eingeschränkt war, erkannte Enrico Piaggio, Leiter des gleichnamigen Familienunternehmens in Pontedera/Toskana, das Bedürfnis eines kostengünstigen Verkehrsmittels für den Massenmarkt. Während der Fahrzeughersteller in den 1930er- Jahren mit dem Bau von Flugzeugen für die Armee gute Geschäfte machte, musste nach Kriegsende eine neue Idee den Erfolg der Firma sichern: Die Siegermächte beschlossen, dass Piaggio fortan keine Rüstungsgüter mehr produzieren durfte.

Alltagstaugliches Design

Der Firmenchef beauftragte den Konstrukteur Corradino D’Ascanio, der sonst Hubschrauber entwarf, ein motorisiertes Zweirad zu entwickeln. Im Gegensatz zum eher offen gebauten Motorrad versteckte der mit den Prinzipien der Aerodynamik vertraute Ingenieur ölige Motorteile unter einer „Verkleidung“ aus Blech – ein alltagstaugliches Design, das in seinen Grundzügen bis heute fortgeführt wird.

Ausdruck eines neuen Lebensgefühls

Als Piaggio den ersten Prototyp des Gefährtes sah und den surrenden Motor hörte, soll er „Sembra una Vespa!“ gerufen haben („Sieht aus wie eine Wes pe!“). Damit hatte der Roller seinen Namen. Schnell fand das unkomplizierte Gefährt seine Anhänger. Immer besser verkaufte sich die Vespa und wurde zum Ausdruck eines neuen Lebensgefühls der jungen Generation nach dem Krieg. Und das über die Grenzen Italiens hinaus: Auch in anderen Ländern wurde der Motorroller fortan erfolgreich vermarktet und in Lizenz produziert. In Deutschland etwa durch die Hoffmann- Werke in Lintorf bei Düsseldorf, die Zehntausende Stück absetzten.

1953 schickt der Vatikan 20 Roller nach Holland

1953 erfuhr die Vespa dann erstmals päpstliche Beachtung: Als durch die schwere Nordsee- Sturmflut die Deiche brachen und „Holland in Not“ war, wurden vom Vatikan 20 Fahrzeuge zur Unterstützung der Bevölkerung auf den Weg geschickt. Papst Pius XII. segnete die  Hilfslieferung. Eine Motorroller- Segnung gab es drei Jahre später erneut: 1956 lief die millionste Vespa vom Band – zu diesem Anlass machte ein Korso mit 2 000 Fahrzeugen dem Heiligen Vater seine Aufwartung.

Mit der Vespa zur Messe

Pius XII. erkannte die Bedeutung der Steigerung der Produktion, die für „… größere Geschwindigkeit zum Ruhme Gottes“ sorgen würde. Was der Papst damit meinte, führt Eric Dregni in seinem Band „Motorlegenden – Vespa“ aus. Für den Vatikan sei das Fahrzeug vor allem ein kostengünstiges und schnelles Mittel gewesen, um die Menschen zuverlässig zur Messe zu bringen, so der Autor. Auch das amerikanische „Time Magazine“ habe vermerkt: „1955 wurden wieder mehr Menschen getauft, und an Ostern nahmen mehr Leute am Abendmahl teil als jemals zuvor. Der Grund: Motorroller.“

Steigerung der Effizienz

Wie Dregni darlegt, hat die Kirche den Einsatz der Vespa auch in ihren eigenen Reihen gefördert: Laut einem Bericht des Vatikans hätten die italienischen Priester damals 30 850 Motorroller besessen. „Und wenn man die Zahl der gespendeten Sakramente und anderer Wohltaten anschaut, dann stieg die Effizienz des durchschnittlichen Priesters um 3 000 Prozent im Vergleich zu seinen Vorgängern im 19. Jahrhundert.“

Die Vespa macht auch in Deutschland Priester mobil

Ähnliches kann auch für Deutschland vermutet werden. So mancher Kaplan kam in den 1950er- und 1960er- Jahren auf einer Vespa oder auf der in Deutschland entwickelten Konkurrenz aus den Häusern Heinkel, Dürkopp, Zündapp oder DKW daher. Das Wirtschaftswunder sorgte für einen Rollerboom, der auch vor den Geistlichen nicht haltmachte.

Eigenes Auto gewinnt an Bedeutung

Er ebbte erst ab, als die junge Generation ab den 1970er- Jahren auch das Moped für sich entdeckte und das eigene Auto an Bedeutung gewann. Gebaut wird die Vespa mit ihrem markanten Äußeren heute immer noch. Allerdings haben Anti-Blockier- System (ABS), ein saubererer Viertaktmotor und eine Tacho- Anbindung per Smartphone- App in aktuelle Modelle Einzug gehalten. Extras, auf die ein prominenter Vespa- Besitzer allerdings noch verzichten musste: Im Sommer 2018 bekam Papst Franziskus von einem italienischen Motorrollerclub ein Modell „50R“, Baujahr 1971, geschenkt. Das persönliche Wappen des Papstes und ein extra angefertigter „Francesco“- Schriftzug zieren das restaurierte Fahrzeug. Ebenso gehört ein weißer Helm dazu.

Eine Runde im Vatikan

Beides wurde durch den päpstlichen Almosenverwalter, Kardinal Konrad Krajewski, für wohltätige Zwecke versteigert. Der polnische Geistliche, augenscheinlich mit der Handhabung einer klassischen Vespa bestens vertraut, ließ es sich vorher nicht nehmen, vor den Augen des Papstes eine Runde im Vatikan zu drehen. Ob auch der Heilige Vater, der unkonventionelle Verkehrsmittel bekanntlich schätzt, eine Probefahrt machte, ist nicht dokumentiert. 

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