Warum abstrakte Texte eine konkrete Botschaft haben
Ein abstraktes Bild –
und ist das Motiv zu erkennen? Foto: Gordon Johnson/Pixabay
Sowohl die alttestamentliche Lesung als auch das Evangelium fallen am heutigen Sonntag durch sehr abstrakte Beschreibungen auf. In der ersten Lesung geht es um die Weisheit, der in einem poetischen Erzählstil Worte in den Mund gelegt werden, wie sie im Volk Israels Wurzeln schlug. Am zweiten Sonntag nach Weihnachten sieht die liturgische Ordnung nochmals den Johannes- Prolog als Evangelium vor, der schon am ersten Weihnachtstag als Evangelium am Tage gelesen und ebenfalls in einem poetischen Stil geschrieben ist.
Leben auf Gott ausrichten
Weisheit meint ursprünglich lebenspraktisches Wissen und zugleich die Fähigkeit, sein Leben auf Gott auszurichten (vergleiche Infokasten „Weisheit in der Bibel“ in der Ausgabe 45/2020). Der Verfasser des Buches Jesus Sirach beschreibt einerseits explizit die Verbindung der Weisheit zum Volk Israels (V. 8), andererseits wird die Ewigkeit der Weisheit (V. 9) genannt. In den letzten Versen folgt ein Bericht über das Wirken in Israel.
Der Logos- Hymnus, der im heutigen Evangelium nur in Auszügen gelesen wird, weist eine große Parallelität zum Bericht der Weisheit aus Jesus Sirach auf. Aus der Ewigkeit heraus beginnt mit der Menschwerdung des Logos das Wirken unter den Menschen. Im Unterschied zur alttestamentlichen Lesung wird jedoch im Logos- Hymnus der Blick auf die ganze Welt geweitet (V. 10–12), was jedoch nicht zu einer Ablösung der Weisheit führt. Das Wort Jesus kommt in diesen ausgewählten Versen gar nicht vor. Jesus wird später in Vers 17 das erste und einzige Mal im gesamten Hymnus genannt.
Mit Blick auf die Weihnachtszeit stellt sich an dieser Stelle die Frage, was uns solche abstrakten Texte sagen können. Die Geburtserzählungen bei Matthäus und Lukas sind doch viel konkreter und besser zu verstehen. Im Matthäusevangelium beginnt die Erzählung zwar auch mit einer recht abstrakten Abstammungserzählung, aber es folgt eine kurze Beschreibung der Umstände und es werden die Namen Maria, Josef und Jesus genannt. Im Lukasevangelium finden wir den ausführlichsten Bericht über die Geburt Jesu.
Unterschiedliche Texte
Uns liegen heutzutage also unterschiedliche Texte vor, die auf unterschiedliche Art und Weise in ihrer Zeit für einen bestimmten Adressatenkreis geschrieben wurden. Das Johannesevangelium ist vermutlich im Zeitraum zwischen den Jahren 90 und 150 in der heute bekannten Form niedergeschrieben worden. Ursprünglich ist als Adressatenkreis wohl eine christliche Gemeinde in einem jüdischen Umfeld anzunehmen.
In Bezug auf die Erzählungen der Menschwerdung Gottes können wir verschiedene Texte lesen, die das gleiche Ereignis beschreiben: Gott ist wirklich Mensch geworden! Gott kommt auf die Erde zu uns Menschen und lebt mitten unter uns! Diese Botschaft ist sowohl für die Hörer damals als auch für uns heute die entscheidende Botschaft an Weihnachten, die in der ganzen Weihnachtszeit nachhallt. Der Hymnus des heutigen Sonntags ruft diese Botschaft nochmals ganz klar aus. Und ein Hymnus als Ausdruck der Freude ist dafür doch sehr gut geeignet.
Info
Hymnen im NT
Ein Hymnus ist eine besondere Gestaltung eines Textes, die den Ursprung in der frühen Kirche in Anlehnung an die Psalmen hat. Verwendet wurde der Hymnus vermutlich vorrangig im gottesdienstlichen Kontext.
Im Neuen Testament finden sich die meisten Hymnen in der Brief literatur. Allen gemeinsam ist die Thematik der Inkarnation Christi. Die jeweiligen Verfasser nutzen die Hymnen, um auf die Gleichheit Jesu mit Gott hinzuweisen. In den meisten Fällen geht ein Aufruf zur Vergegenwärtigung des Ereignisses der Inkarnation Gottes und zur Ausrichtung des eigenen Lebens am Beispiel Jesu einher.
Die bekanntesten Hymnen im NT sind der Logos- Hymnus und der Philipper- Hymnus in Phil 2,5–11.