21.02.2020

Stachel im Fleisch

Professor Christoph Stiegemann. Foto: Flüter

Paderborn. Mitte der 1960er-Jahre veränderte sich etwas in Paderborn. Auf einem Trümmergelände nördlich des Domes grub der Archäologe Wilhelm Winkelmann die Reste von zwei mittelalterlichen Pfalzen aus. Gleichzeitig entstanden städtebauliche Planungen für den Bereich rund um den nach dem Krieg wiederhergestellten Dom, während das Erzbistum Paderborn einen Architekturwettbewerb für ein neues Diözesanmuseum ausschrieb.

von Karl-Martin Flüter

Die Entscheidung fiel für Gottfried Böhms Konzept. Der Kölner Architekt und gelernte Bildhauer hatte für Paderborn ein Gebäude entworfen, das an eine große architektonische Skulptur aus Metall erinnerte. In den Proportionen orientierte sich der Entwurf an der Vorkriegsbebauung, doch die verwendeten Materialien, vor allem Metall und Beton, waren etwas ganz anderes als die Fachwerkhäuser, die bis 1945 hier gestanden hatten.

Vor allem aber verwehrte das Gebäude den freien Blick auf den Dom– und der Verlust dieses Panoramas schmerzt viele bis heute. Dabei war die Bischofskirche bis zu den Bombenangriffen von 1945 immer Teil der städtischen Umgebung gewesen. Die Häuser um den Dom herum hatten ihn perspektivisch kleiner, alltäglicher und volksnäher gemacht: ihn in der Stadt begründet.

Es war typisch, dass es die Nationalsozialisten waren, die 1938 planten, die Bebauung rund um den Dom zu beseitigen. Sie wollten einen westfälisch-massiven, monumentalen Dom: Einschüchterungsarchitektur. Zwar konnten die Nazis ihre Absicht nicht umsetzen, aber infolge des von ihnen verursachten Krieges wurden die Pläne dennoch Realität. Die Häuser am Markt fielen den Bomben zum Opfer: Der Blick auf den Dom war frei. Erst mit Böhm wurde dem Domturm wieder die Monumentalität genommen– eine demokratische Rückwende 20 Jahre nach dem Kriegsende.

Bei der Gestaltung des Innenraumes hatte sich Gottfried Böhm von den gotischen Baumeistern inspirieren lassen. „Es war der Versuch, der Schwerkraft zu trotzen“, erinnert sich Christoph Stiegemann, seit 1990 Leiter des Diözesanmuseums. Die Ausstellungsebenen hingen an U-förmigen Stahlträgern im offenen Raum. Von allen Standorten war das ganze Museum zu sehen. Der Ausstellungsmacher Christoph Stiegemann lernte diese Offenheit schätzen, weil sie es ermöglichte, zwischen den Raumebenen Beziehungen herzustellen und Themen vielfältig zu variieren.

Kein gutes Klima

Doch leider funktionierte der große architektonische Entwurf nicht als Museum. Die Leichtbauweise und die großen Fenster ließen auch das Außenklima nach innen. Im Winter wurde es eiskalt, im Sommer unter der Metallhaut bis zu 40 Grad heiß. Konservatorisch sei das ein Alptraum gewesen, erinnert sich Christoph Stiegemann. An Ausstellungen mit internationalen, teuren Exponaten war nicht zu denken.

So entschied sich das Erzbistum zu einer millionenschweren Sanierung. Das Gebäude erhielt zwischen 1991 und 1993 eine Klimaanlage, die Fensterfronten verschwanden, die Architektur des Großraumes wurde zurückgenommen. „Wir haben im Inneren ein Museum eingezogen“, meint Christoph Stiegemann. Selbst Gottfried Böhm, der an der Wiedereröffnung teilnahm, akzeptierte den Umbau. „Es muss ja funktionieren“, soll er gesagt haben. 

Diese Einsicht in die Notwendigkeiten hatte Böhm schon beim Bau der Kaiserpfalz gezeigt, die etwa zeitgleich zum Diözesanmuseum auf Winkelmanns Grabungsgelände entstand und 1978 eröffnet wurde. Das neue Gebäude bezieht die historischen Gebäudereste der Pfalz aus dem 11.Jahrhundert ein. Böhm übernahm die Maße und Massen des historischen Vorgängers. Nur in Details ist seine Handschrift zu erkennen, etwa beim Metalldach.

Die Einheit von saniertem Diözesanmuseum und Kaiserpfalz machte erst die großen internationalen Ausstellungen möglich, die 1999 mit der Schau „Kunst und Kultur der Karolingerzeit“ begann. Paderborn avancierte zum international bekannten Museumsort. Ihren Frieden haben viele Paderborner und ihre Gäste dennoch nicht mit dem Böhm-Bau gemacht. Man kann es täglich beobachten, wenn Besuchertrupps auf dem Marktplatz stehen und die Existenz des Metallgebäudes beklagen, das den freien Handyblick auf den Dom verwehrt.

Der Blick des Dichters

Vielleicht soll es so sein. Moderne Kunst wollte immer schon irritieren und zum Widerspruch anregen. Der Lyriker Robert Gernhardt hat das nach einem Paderborn-Besuch in ironische Verse gefasst: „Paderborn, arme Stadt/ wie er dich verschandelt hat/ dieser Architekt. Hat dir dreist den Dom verstellt/ kriegte dafür auch noch Geld/ dass er den versteckt./ Architekten, holt Freund Hein!/ Aber so ein Werk aus Stein/ bleibt im Fleisch ein Dorn./ Macht in alle Ewigkeit/ sich vor Turm und Kirche breit./ Arme Stadt Paderborn.“

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