18.10.2019

Schwarzes Gold aus dem „Rattenloch“

Der Weg in die Grube, das sogenannte „Rattenloch“ führt oft nur über eine wackelige Leiter. Fotos: Schwarzbach/missio

Meghalaya/Indien. Tausende Menschen riskieren in Indiens „Rattenloch-Kohleminen“ ihr Leben. Die meisten sind arme Migranten aus Nepal und Bangladesch. Schwester Blinda versucht ihnen in ihrer verzweifelten Lage zu helfen.

Bettina Tiburzy von

Fast in völliger Dunkelheit kriecht er den engen Schacht entlang. Auf Händen und Knien. Die Picke auf dem Boden Stück für Stück vor sich herschiebend. Feucht ist der Boden. Die Luft stickig. Jederzeit kann der Tunnel einstürzen und ihn begraben. Doch der Bergmann hat keine Wahl. Die Kohle ernährt seine Familie.

„Rattenloch-Kohleminen“ nennen sie die Minen in Nord­ostindien, weil sie so eng sind. Der Bundesstaat Megha­laya ist mit den Tunneln durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Tief in die Erde gegrabene Löcher, auf deren Grund enge Tunnel horizontal abzweigen. Oft sind die mit primitivsten Mitteln gebauten „Rattenlöcher“ nur einen Meter hoch und knapp zwei Meter breit.

Aus einem der Schächte ziehen die Männer eine flache Holzkarre mit Kohle. Dann schippen sie die Kohle in einen Korb. Einer der Männer hievt ihn sich auf den Rücken und steigt auf die Leiter. 40 Kilo kann so ein Korb wiegen. Immer wieder stoppt der Mann, sucht Halt an einem wackeligen Geländer. Mehrmals am Tag wagt er den halsbrecherischen Aufstieg, 60 Meter über die feucht glitschige Holzkonstruktion.

Der Abbau ist illegal. Die Bergleute, die in den Jaintia-­Bergen ihr Leben riskieren, wollen lieber nicht mit Namen genannt werden. Die meisten sind Migranten aus Bangladesch oder Nepal. Sie haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren.

Überall entlang der Straßen türmen sich Kohleberge. Frauen, Männer und Kinder verladen den Brennstoff in Lastwagen. Scheinbar endlose Kolonnen von Lastern schieben sich die Straße entlang. Sie ziehen dicke schwarze Abgaswolken hinter sich her. Vom Hochplateau Meghalayas rollen sie hi­nunter in das tiefer gelegene Assam. Indien ist hungrig nach Kohle.

Schwester Blinda hat die rußige Wolke des Kohlelasters gerade noch kommen sehen. Im letzten Moment zieht sie sich den Schleier vor das Gesicht.

Die Ordensfrau ist auf dem Weg zu Familie Chetri, die nahe einer Kohlegrube lebt. Schwester Blinda betreut viele Familien aus der Umgebung. Sie besucht die Familien der Minenarbeiter meist abends. Dann haben die Bergleute ihre Acht-Stunden-Schichten hinter sich.

Die Unterkunft von Familie Chetri liegt abseits der Straße. Holzverschläge, teilweise mit Plastikfolien als Dach, bieten den einzigen Schutz vor Regen und Wind.

Vater Kumar Chetri kommt aus Nepal. Seit 26 Jahren gräbt er sich durch den Berg. Mit seiner Frau Yolinda, die zur hier ansässigen Volksgruppe der Khasi gehört, hat er sieben Kinder.

Als er Schwester Blinda kommen sieht, greift er nach einem Schemel, bietet ihr einen Platz an. Seine Frau hält ihren Sohn auf dem Schoß. Der Junge hat leichtes Fieber. Schwester Blinda setzt sich und untersucht ihn. Entwarnung. Am nächsten Tag wird er wieder zur Schule gehen können, hofft sie.

Die ausgebildete Krankenschwester betreibt eine kleine Krankenstation. Immer wieder muss sie Atemwegserkrankungen und Hautausschläge behandeln. Auch Tuberkulose ist weitverbreitet. Bei ihren Hausbesuchen hat Schwester Blinda immer ein offenes Ohr für die Sorgen der Familien. „Wir unterhalten uns. Manchmal beten wir zusammen. Sie berichten von ihren Problemen und Schwierigkeiten. Eigentlich möchten sie nicht mehr in den Minen arbeiten. Es ist sehr gefährlich“, erzählt sie.

Kumar hat schon viele Unfälle miterlebt. „Manchmal ersticken Menschen an giftigen Gasen“, berichtet der 41-Jährige. „Oft werden Leute von Steinen getroffen. Immer wieder stürzt ein Schacht ein, begräbt Arbeiter lebendig.“ Doch eine andere Arbeit kann Kumar nicht finden. „Für meine Kinder nehme ich das alles in Kauf.“

Erst im Dezember 2018 ertranken in einer Mine 15 Jugendliche, als plötzlich Wasser aus einem Fluss in einen Schacht eindrang. Trotz einer aufwendigen Rettungsaktion kam jede Hilfe zu spät. Nur zwei Leichen konnten geborgen werden.

Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen. Meist werden sie nicht einmal gemeldet. Denn in den Minen arbeiten überwiegend Migranten aus Bangladesch und Nepal, darunter auch Kinder.

Der unprofessionelle Bergbau fordert nicht nur menschliche Opfer. Die Minen vergiften die Flüsse und das Grundwasser mit Schwermetallen. An vielen Orten kann nur noch Regenwasser getrunken werden.

Darum hat der indische Umweltgerichtshof 2014 gegen den Willen der Regierung des Bundesstaates Meghalaya die unfachmännische Art des Kohleabbaus untersagt. Einige „Rattenloch-Minen“ sind wegen des Verbotes geschlossen worden. Familien verloren ihre Einkommensquelle. Vielerorts ging der Abbau jedoch heimlich weiter. Nicht zuletzt, weil auch Parlamentsabgeordnete Minenbesitzer sind.

Nach dem Unfall mit den Jugendlichen im letzten Jahr verurteilte das Gericht den Bundesstaat zu 13 Millionen Euro Strafe, weil er den illegalen Abbau nicht verhindert hat.

Im Juli 2019 erließ der Oberste Gerichtshof Indiens ein weiteres Urteil. Bergbau darf jetzt nur noch nach Erwerbung einer Lizenz betrieben werden. Sie soll sicherstellen, dass das Land vor umweltschädlichen Praktiken geschützt und die Sicherheit der Bergleute gewährleistet wird.

Kumar Chetri hofft, dass er in Zukunft weiter als Bergmann arbeiten kann. Denn für ihn gibt es keine andere Arbeit. Um den Familien der Bergarbeiter zu helfen, sucht Schwester Blinda nach alternativen Einkommensmöglichkeiten. „Wir organisieren Selbsthilfegruppen für die Frauen. Wir zeigen ihnen andere Einkommensmöglichkeiten wie den Anbau von Papa­yas, Mangos und Orangen in sicherer Entfernung zu den Minen“, erzählt sie.

Die Kinder von Familie Chetri besuchen die katholische Schule. Ihr Vater will nicht, dass sie in den Minen arbeiten müssen. „Ich möchte, dass sie einen Schulabschluss machen. Sie sollen ein besseres Leben führen als ich“, sagt Kumar. „Ein Leben außerhalb der Rattenlöcher.“

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