Schöne Aussichten
Schöne Aussichten: Der Himmel ist ein Ort der Freude. Foto: peterpaul/photocase
Eine verlockende Zukunft eröffnet sich für den, der Karriere macht im Dienen.
von Andreas Rohde
Das sind zugegebenermaßen keine schlechten Aussichten für die Jünger. Jesus verheißt ihnen ein reiches Erbe: Mit ihm essen und trinken, auf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Im Reich Gottes scheint es hoch herzugehen. Das sage ich natürlich augenzwinkernd. Wie es im Himmel aussieht, wissen wir nicht. Aber etwas lässt sich doch sagen: Es ist der Ort der dauernden Gegenwärtigkeit Gottes; ein Ort, an dem Leben ewig ist. Und, wie uns das Bild vom Essen und Trinken nahelegt, ein Ort der Freude.
Es scheint so, als wolle Jesus seinen Jüngern ganz bewusst etwas Gutes sagen, ihnen mit voller Absicht die schönen Aussichten gönnen. Vielleicht nicht ganz ungeschickt, wo er doch nur wenige Sätze zuvor davon sprach, dass der Streit der Jünger, wer von ihnen der Größte sei, in eine ganz falsche Richtung läuft. Wenn sie sich denn schon gegenseitig übertreffen wollen, dann darin, ein wirklicher Diener zu werden.
Schöne Aussichten sind das! Ein Jünger zu sein heißt, ein Diener zu sein. Erstrebenswert ist das ja nicht unbedingt. Dabei meint es die Einheitsübersetzung noch gut mit uns und erspart uns an dieser Stelle das Wort „Sklave“ oder „Knecht“. Doch genau so sieht sich Jesus selbst: als Diener. Für ihn besteht im Dienen die Größe der Nachfolge; darin steckt die konsequente Ausdrucksweise all dessen, was Jesus verkündigt. Wer das Wort hört, muss auch danach handeln. Im Christentum geht es nicht darum, sich wohlzufühlen, sondern darum, ein Dienender, eine Dienende zu werden.
Wer wie Jesus, den Nächsten im Blick hat, der kann gar nicht anders. Im Dienst des Nächsten zu stehen, gehört zum Grundprogramm des Christen und ist zugleich der Lackmustest für die Übereinstimmung von Reden und Tun. Und an keiner Stelle im Evangelium werden wir vom Liebesdienst am Nächsten dispensiert. Schöne Aussichten sind das; das würde eine ganz andere Qualität im Zusammenleben bedeuten, kirchlich wie zivilgesellschaftlich. Im einen Moment bin ich der Dienende, im anderen vielleicht schon der „Nächste“, der sich über den Dienst des anderen freut. Das sind natürlich keine neuen, aber doch recht schöne Vorstellungen.
Bliebe die Frage, ob wir das schon leben? Ob wir das schon verinnerlicht haben. Ob wir eine Haltung des Dienens in uns tragen und so den Menschen um uns herum begegnen.
Wieviel Sehnsucht nach Macht, nach Größe, nach Anerkennung durch Leistung steckt auch in mir? Wieviel Geltungsdrang und Selbstbezogenheit macht sich in mir bemerkbar? Auch in unseren Gemeinden und in der Kirche ist uns das nicht fremd! Dabei haben wir unsere Fähigkeiten und Stärken bekommen, um sie im Dienst am anderen fruchtbar werden zu lassen, nicht unbedingt dafür, dass wir uns gewissermaßen im Blitzlichtgewitter aalen.
Anteile von alldem sind wohl in uns allen. Das heißt dann aber nicht, dass uns das Evangelium zu schwer ist und wir es gleich bleiben lassen können. Jesus gebraucht an einigen Stellen Bilder, die mit dem Wachsen und Reifen zu tun haben. Ich stelle mir vor, dass er Freude daran hat, uns Menschen beim Reifen zu begleiten; uns zu „dienen“, in das Evangelium hineinzuwachsen, damit wir mehr und mehr verstehen, worum es geht und was „Dienen“ wirklich und konkret heißen kann.
Wir glauben an einen Gott, der Freude an unserem Wachsen und Reifen hat. Es sind noch keine Bäume in den Himmel gewachsen. Wir allerdings können in den Himmel hineinwachsen, in den Zustand ewiger Lebensfreude: Schöne Aussichten sind das!
Pastor Dr. Andreas Rohde ist Leiter der Diözesanstelle Berufungspastoral und Spiritual im Pauluskolleg.