Luther ist Schuld
Luther ist Schuld
Heinsberg (KNA). Geistliche in der Bütt, im Rosenmontagszug oder gar im Männerballett sind nichts Ungewöhnliches mehr im Karneval. Doch am Niederrhein treten jetzt drei Pfarrer als Dreigestirn auf – eine Premiere.
von Sabine Kleyboldt
Alleine kommt „Jungfrau Reni“ weder in ihr Kleid hinein noch wieder heraus. „Und dann ist da auch noch der Oberkörper-Aufbau, der das Ganze etwas fülliger machen soll“, schmunzelt „Reni“, die in Wahrheit der katholische Pfarrer René Mertens aus Heinsberg am Niederrhein ist. Zusammen mit Propst Markus Bruns und dem evangelischen Pfarrer Martin Jordan bildet er das närrische Dreigestirn des Heinsberger Karnevalsvereines – das erste Dreigestirn bundesweit aus drei Pfarrern.
Schuld daran ist eigentlich Luther. „Wir haben das Reformationsgedenkjahr sehr gut und intensiv ökumenisch gefeiert, da fanden wir, dass ein karnevalistischer Abschluss sehr schön wäre“, berichtet „Prinz Markus“, der in der laufenden Session den Hammer des Narrenherrschers schwingen darf. Und Jordan, der als „Bauer Martin“ einen Dreschflegel mitführt, freut sich über den Zuwachs an evangelischem „Gewicht“ im Ort. „Heinsberg hat 16 Prozent Protestanten; insofern ist der evangelische Anteil im Dreigestirn mit 33 Prozent mehr als doppelt so hoch“, scherzt der Familienvater.
Von November bis Aschermittwoch haben die drei rund 30 Auftritte in Karnevalssitzungen, aber auch in Senioreneinrichtungen und Kindergärten. „Wir wollen Botschafter der Freude sein“, lautet das Credo des Triumvirates. „Das passt sowohl zum Evangelium als auch zum Karneval.“ Dabei tauschen sie Talar und Priestergewand gegen rot-weiß und schwarz glänzende Ornate, die der Verein ihnen zur Verfügung stellt.
Vor der größten Herausforderung steht dabei sicher der 44-jährige Mertens als „Jungfrau Reni“. „Männer in Frauenkostümen irritieren ja manche, und dann auch noch ein katholischer Priester – das löst schon Assoziationen aus“, so der Geistliche, der für seine Auftritte Lippenstift und Rouge auflegt. „Aber ich kann damit gut umgehen.“ Er zieht sogar Parallelen zur katholischen Lehre. „Hier geht es um die Jungfrau, die nie erobert wurde. Das heißt für mich, dass man zu seinen Werten steht.“ Das könne er auch im Karneval vertreten.
Sorgen, dass durch das närrische Engagement der Pfarrer die Gläubigen zu kurz kommen, sind laut Propst Bruns völlig unbegründet: „Wir tun das ja in unserer Freizeit“, so der 51-Jährige. Alle Dienste seien gut organisiert, niemand müsse auf pfarrlichen Beistand verzichten. Auch habe er den Aachener Bischof Helmut Dieser am Rande einer Konferenz über das Vorhaben informiert und seine Zustimmung erhalten. Jordan hat sich ebenfalls Rückendeckung von seinem Presbyterium sowie von Frau und Tochter geholt. „Die stehen alle hinter mir“, freut sich der 55-jährige Pfarrer, der bei den Auftritten Gitarre spielt.
Denn statt einer Büttenrede tragen die drei das von Jordan und Mertens geschriebene Lied „Wir stehen zusammen in Spaß und Freud“ vor. Darin wird auch dafür geworben, den „uralten Zopf“ der getrennten Konfessionen abzuschneiden.
„Stellt die Welt auf den Kopf“, sei die Botschaft sowohl der Bibel als auch des Karnevals, betont Jordan: In der närrischen Zeit und vor Gott sind alle gleich – ob jung oder alt, arm oder reich, evangelisch oder katholisch.
Allen dreien ist jeweils ein Adjutant zur Seite gestellt, der auch dafür sorgt, dass sie nicht zu sehr von närrischen Fans bestürmt werden. Denn das „Bützen“ (Küssen) gehört nun mal dazu. „Das sind ja nur ganz dezente Küsse in die Luft, wie bei einer französischen Begrüßung“, erklärt Jordan. Und doch kam es bei einer Sitzung zu einer Situation, in der Bruns von einer begeisterten Küsserin heimgesucht wurde. „Die haben wir sehr diskret, aber klar in die Schranken gewiesen“, so der Pfarrer.
Als Höhepunkte betrachten die drei die katholische „Messe der Freude“ am 4. Februar in Sankt Gangolf mit dem bekannten närrischen Diakon Willibert Pauels und den ökumenischen Gottesdienst in der Christuskirche am Karnevalssonntag, den 11. Februar, bei dem die Menschen auch kostümiert sein dürfen.
Bleibt noch die Frage, ob am Aschermittwoch alles vorbei ist mit der konfessionsverbindenden Freundschaft. „Garantiert nicht“, betont Jordan. „Denn es geht direkt ökumenisch weiter: mit gemeinsamen Exerzitien im Alltag – aber im normalen Talar.“