23.09.2016

Die verschwiegene Gefährtin

Lioba mit der Glocke neben Bonifatius, ein Figurenpaar aus der St.-Bonifatius-Kirche in Tauberbischofsheim, wo sie seit 2005 Stadtpatronin ist. Foto: Brigitta Meuser

Als „Stimme Britanniens“ ist eine Glocke bekannt: Der „Big Ben“ im Londoner Parlamentsgebäude. Wie wird eine einzelne Glocke zur Stimme eines ganzen Landes? Vielleicht liegt es daran, dass eine Glocke nicht sofort verstummt, wenn ihr nicht gleich jeder zuhört.

von Lena Maull

Um das Jahr 700 gab es den „Big Ben“ noch nicht, doch ein Glöckchen verkündete damals eine Botschaft – und zwar die Frohe Botschaft! Gemeint ist die heilige Lioba, die häufig mit einer Glocke assoziiert wird. Das liegt an einem Traum, den die lange kinderlos gebliebene Mutter Liobas kurz vor deren Geburt hatte. Sie sah eine Glocke in ihrem Schoß liegen, die bei Berührung anfing zu klingen, und deutete es als göttliche Ankündigung der lang ersehnten Geburt eines Kindes. Sie beschloss daraufhin, dieses Kind Christus zu schenken und so erhielt Lioba bereits kirchliche Bildung, bevor sie um 720 ins Kloster eintrat. Zu dieser Zeit hatte der heilige Bonifatius bereits sein Missionswerk in Deutschland begonnen. Lioba hatte während ihrer Zeit in britischen Klöstern an Beachtung gewonnen, war eine enge Vertraute und gute Freundin des Bonifatius und folgte ihm auf dessen Bitte hin nach Deutschland. Als Äbtissin von Tauberbischofsheim wurde Lioba nicht nur zu einer „Stimme Britanniens“, da sie das angelsächsische klösterliche Schulsystem nach Deutschland brachte, sondern auch zu einer „Stimme des Christentums“. Denn es gelang ihr, die christliche Botschaft Tag für Tag zu verkünden und Frauen und Mädchen aus der Umgebung in ihrer Schule auszubilden, sodass einige dieser Schülerinnen eigene Klöster gründeten und die Mission unterstützten. Der heilige Bonifatius bestimmte Lioba vor seinem Tod zu seiner Nachfolgerin, schenkte ihr sogar sein eigenes Mönchsgewand und stellte sie unter den Schutz des Bischofs Lullus. Lioba entwickelte sich zu einer geachteten und einflussreichen Frau, deren feinsinnige und gütige Ratschläge, nicht nur von ihren Anhängerinnen, sondern auch von bedeutenden Persönlichkeiten, etwa von Karl dem Großen, beachtet wurden.

Auf Wunsch des heiligen Bonifatius hin war Lioba lange Zeit die einzige Frau, die ohne männliche Begleitung das Kloster Fulda betreten und somit das Grab ihres Freundes aufsuchen durfte. Bereits im Jahr 836, nur wenige Jahre nach ihrem Tod am 28. September 782, wurde Lioba von Papst Gregor IV. heiliggesprochen. Leider spielten nachfolgende Generationen ihre Rolle als „Stimme der Mission“ in den Gebieten des heutigen Bayern, Hessen und Thüringen oftmals hinunter. In der von Willibald verfassten Biografie des heiligen Bonifatius wird Lioba, die ihm half, die Frohe Botschaft zu verbreiten, mit keinem Wort erwähnt. Trotzdem wird das Grab der heiligen Lioba immer wieder von Gläubigen aufgesucht und es wird von wundersamen Heilungen berichtet. Und aus dem mittlerweile leeren Steinsarkophag Liobas bei Fulda kann man von Zeit zu Zeit noch immer Stimmen hören: Er ist als „Schreistein“ bekannt. Es heißt, dass in den Sarkophag gelegte und deshalb natürlich oftmals schreiende Kinder von Krankheiten geheilt werden können.

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