02.03.2017

Bilder des Leids

Foto: dpa

„Achtung: Die folgende Bildstrecke enthält zum Teil drastische Darstellungen.“ Diesen Hinweis stellt Spiegel online einer Bildergalerie voran, die die besten Fotos des Jahres 2016 zeigt. Seit 1955 vergibt eine niederländische Stiftung diesen renommierten Fotopreis in diversen Kategorien, die wichtigste ist das Presse­foto des Jahres.

von Claudia Auffenberg

Das Wort „beste“ ist in diesem Zusammenhang allerdings erklärungsbedürftig. Gemeint sind nicht die schönsten Bilder, sondern die eindringlichsten, die intensivsten, die, die ein Geschehen „am besten“ eingefangen haben. Es sind – nicht nur, aber doch überwiegend – seit den 1950er-Jahren Bilder des Leids: Fotos, die blutverschmierte Menschen, traumatisierte Kinder, zerstückelte Natur zeigen, Bilder von Kriegen, Attentaten oder Naturkatastrophen.

Das Pressefoto des Jahres 2017 zeigt einen jungen Mann im schwarzen Anzug. Er hat den linken Zeigefinger hochgereckt, in der rechten Hand hält er eine Pistole, er schreit etwas. Neben ihm liegt ein Toter. Der Fotograf hat einen Moment zwischen Leben und Tod festgehalten. Der Tote ist der russische Botschafter in der Türkei, der Mann im schwarzen Anzug sein Mörder. Während einer Ausstellungseröffnung hat er den Botschafter erschossen – vor laufenden und klickenden Kameras. Wenige Augenblicke später wurde er selbst von Sicherheitskräften getötet.

In der Kategorie Alltag hat in diesem Jahr das nebenstehende Foto gewonnen. Die Fotografin Paula Bronstein hat es in Kabul aufgenommen. Zu sehen ist eine Frau, die ihren zweijährigen Neffen im Arm hat. Das Kind ist von einer Bombe verletzt worden. In seiner Komposition erinnert das Bild an das Motiv der Pietà. Wenn man die Liste der World-­Press-Fotos der vergangenen Jahrzehnte durchschaut, taucht eine solche Szene immer wieder auf. Es scheint eine Art Urgeste und ein Urmotiv des Menschen zu sein, der Trost braucht oder spendet. Das könnte bedeuten: Eine Darstellung der klassischen Pietà, Maria mit dem toten Jesus im Schoß, würde sich auch dem unkundigen Betrachter erschließen. Auch wer die dargestellten Personen nicht kennt, erkennt doch sofort, worum es geht. Das unterscheidet die Pietà womöglich vom Kreuz. Das ist heute eine Art Logo des Christentums, weltweit bekannt zwar, aber mit dem Leben der Menschen hat die dargestellte Szene meistens nicht mehr zu tun. Echte Kreuzigungen erlebt man heute nicht mehr, jedenfalls nicht in Europa.

In der Fastenzeit wollen wir jeweils auf Seite 18 Bilder des Leids zeigen, um zu sehen, welche Motive Menschen finden, um ihre Not auszudrücken oder auch, an welchen christlichen Motiven sich Künstler der Gegenwart abarbeiten.

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