25.07.2019

„Bei euch aber soll es nicht so sein“

Der Münsteraner Bischof Felix Genn, hier bei einem ökumenischen Gottesdienst im vergangenen Jahr, hat jetzt erklärt: „Als Bischof bin ich dazu bereit, auch meinerseits Macht abzugeben und mich beispielsweise auch einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit unterzuordnen.“ Es sei klar geworden, dass die Macht in der Kirche angesichts des sexuellen Missbrauchs und des Vertuschens neu justiert werden müsse. Foto: KNA

Jesus als Diener ist das dauernde Korrektiv für alle Diensthaber in der Kirche.

von Thomas Witt

Wie menschlich es doch zugeht bei den Jüngern des Jesus von Nazareth! Mitten in der wohl dichtesten Stunde des Lebens Jesu – am Abend vor seinem Leiden, beim Paschamahl –, da sprechen die Jünger darüber, wer von ihnen der Größte sei. Ja, es heißt sogar, dass sie darüber streiten. Sie scheinen nichts gelernt zu haben auf ihrem gemeinsamen Weg mit Jesus. Selbst in dieser so bedeutsamen Stunde geht es um die Dinge, um die es den meisten geht: Wie stehe ich vor anderen da? Bin ich akzeptiert? Kann ich vielleicht sogar größer als die anderen sein?

Jesus hat diese Männer ausgewählt, damit „sie bei ihm seien“ (Mk 3,14), also das Leben mit ihm teilen, und damit er sie dann als seine Boten in die Welt senden kann.

Wir können nur ahnen, wie enttäuschend dieses Gespräch für Jesus gewesen sein muss. Aber er weist seine Jünger ruhig und einfühlsam auf den Kern seines Lebensstils hin. Und der steht in direktem Gegensatz zu seiner Umwelt: Er spricht von den Königen der Welt, die ihre Völker unterdrücken. Da könnten sich die Jünger zurücklehnen und sagen: Könige sind wir ja nicht. Das hat nichts mit uns zu tun. Aber der nächste Satz macht deutlich, dass Jesus auch seine Jünger in der Pflicht sieht: „Bei euch aber soll es nicht so sein.“ Jesus weiß, dass das Streben nach Macht und Ansehen keine Frage von Reichtum und vorhandener Macht ist. Jeder Mensch steht unter der Versuchung, nach Macht zu streben und andere seine Überlegenheit spüren zu lassen. All diesen Tendenzen stellt Jesus sein Wort gegenüber: „Bei euch aber soll es nicht so sein.“

Um das zu verdeutlichen, benutzt Jesus nun ein anderes Bild als das der Könige. Er schaut auf ein Festmahl. Und er sieht die Menschen, die bei Tisch sitzen, und die, die bedienen. Und natürlich ist der größer und wichtiger, der bei Tisch sitzt. Das verstehen die Jünger sofort. Und sie werden es aus eigener Erfahrung kennen. Und nun kommt die umstürzende Aussage Jesu: „Ich aber bin unter euch wie der, der bedient.“ Jesus will nicht ein König wie die anderen sein. Seine Herrschaft besteht im Dienst an den Menschen, im Wahrnehmen des letzten Platzes. Und so wünscht sich Jesus auch die, die ihm folgen wollen.

Wie sieht es da in der Kirche aus? Die Idee des Dienens haben wir verinnerlicht. Alle unsere Aufgaben und Ämter nennen wir Dienste. Aber genau da liegt auch eine große Falle: Wir tun so, als ob alle nur dienen wollen, und gestehen uns nicht ein, dass es auch bei uns immer wieder um Macht und Einfluss geht. Die Jünger Jesu haben sich in 2 000 Jahren nicht sehr verändert: Auch heute steht immer wieder die Frage im Raum, wer von uns wohl der Größte ist.

Indem wir das nicht eingestehen und benennen, stehen wir in der Gefahr, die Wirklichkeit zu verleugnen und in eine Ideologie zu verfallen, die nur dazu dient, bestehende Strukturen aufrechtzuerhalten. Das ist eine berechtigte Kritik vonseiten derer, die durchgreifende Reformen in den Strukturen der Kirche wollen.

Das Evangelium hilft uns einerseits, im Blick auf die Jünger die dauernde Gefährdung durch das Streben nach Macht und Ansehen zu erkennen, und andererseits, uns vom Herrn neu in die Haltung des Dienstes einladen zu lassen. So ist dieses Evangelium ein dauerndes Korrektiv für alle, die in der Kirche Verantwortung tragen.

Dass dieser Text am Hochfest des heiligen Liborius gelesen wird, soll zeigen, dass Liborius ein Hirte war, der die Aufforderung Jesu zum Dienst an den anderen verinnerlicht und verwirklicht hat. Solche Hirten gab und gibt es immer wieder – Gott sei Dank. Ihr Beispiel helfe allen anderen, immer wieder auf den Weg des Dienstes zurückzukehren.

Zum Autor:Dr. Thomas Witt ist Dom­kapitular und Vorsitzender des Caritas­verbandes für das ­Erzbistum Paderborn.

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