Als „Der Turm“ Orientierung gab
Der Titelkopf der Tageszeitung „Der Turm“ vom 28.Juli 1926. Vor 100 Jahren erschien die erste Ausgabe.Foto: Stadtarchiv Bielefeld
Bielefeld. Nicht nur wegen der Corona-Krise haben es die Tageszeitungen derzeit schwer. Insofern mag es überraschen, dass es früher in Bielefeld eine Vielzahl von Tageszeitungen gab: bis zu fünf verschiedene. Am 1.Juli 1920– also vor 100 Jahren– kam ein weiteres „Sprachrohr“ dazu: „Der Turm“, eine rein katholische Tageszeitung.
von Joachim Wibbing
Zu den herausragenden Initiativen des lokalen politischen Katholizismus gehörte die Herausgabe einer eigenen Zeitung– wie es der Historiker Martin Klein betonte. Sie erschien von 1920 bis 1934 unter dem Titel „Der Turm“. August Rennebohm und Alfred Hausknecht stellten sie in einer Druckerei an der Ritterstraße43 in Bielefeld her. Rennebohm übernahm die kaufmännische Leitung. Hausknecht verantwortete die Redaktion und verfasste den täglichen Leitartikel. Die Gründung der Zeitung war eng verbunden mit der Hoffnung auf eine Verbesserung der Wahlergebnisse der Deutschen Zentrumspartei, Vertreterin des politischen Katholizismus, in der Diaspora. Ein Monatsabonnement kostete damals 6Mark– bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 132 Mark. Das wären heute knapp 100 Euro.
Im Juli 1922 geriet der Verlag in eine ernste Krise. Die Tageszeitung wurde in ein Wochenblatt umgewandelt, das in einem kleineren Format gedruckt auch sein inhaltliches Profil veränderte: Der Untertitel lautete nun nicht mehr „Politische Tageszeitung und Handelsblatt“, sondern „Kulturpolitische Zeitschrift mit Kirchlichem Anzeiger für Ostwestfalen“. Im November 1924 wurde die Erscheinungsweise der Zeitung nochmals verändert. Man kehrte zum großen Zeitungsformat zurück. Bis zur Einstellung der Zeitung 1934 blieb ihr äußeres Erscheinungsbild dann unverändert.
Politische Berichterstattung
In der ersten Ausgabe vom 1.Juli 1920 dominierte in der innenpolitischen Berichterstattung die neue Reichsregierung. In der Woche zuvor, am 25.Juni, war ein Kabinett um den katholischen Zentrumspolitiker Constantin Fehrenbach (1852–1926) als Reichskanzler mit Ministern der Deutschen Volkspartei (DVP) und der Demokratischen Partei (DDP) dem Kabinett Müller gefolgt. Sie war die erste deutsche Regierung unter Ausschluss der Sozialdemokraten seit 1918. Alfred Hausknecht stellte in seinem Bericht die einzelnen Minister und ihren programmatischen Aufgabenkatalog vor. Er kommt zu der Erkenntnis, dass „das neue Kabinett“ keine ideale Lösung darstellt. Für ihn war aber besonders von Bedeutung, dass die Deutsche Zentrumspartei keinen Weg unversucht gelassen habe, das Land „vor einem drohenden Chaos zu bewahren“. Der Chefredakteur gab sich als Skeptiker, war aber offenbar auch erfreut, dass ein Zentrumsmann nun als Reichskanzler amtierte und für Ordnung sorgte.
Hinsichtlich der Kommunalpolitik behandelte Hausknecht die Stadtverordneten-Versammlung vom 22.Juni 1920. Dabei wurde die „Cecelien-Schule“ als „evangelische Schule“ bezeichnet. Dies rief den vehementen Widerspruch des Sprechers der Zentrumsfraktion, des Pfarrers Johannes Schmidt von der Kirche St.Jodokus, hervor. Dieser „wies klar und eindringlich darauf hin, daß die höheren Lehranstalten den Anforderungen gerechter Parität nicht genügen“. Im Lehrerkollegium der Schule befände sich „keine einzige katholische Lehrkraft“– so kritisierte Schmidt. Der Bericht kommt zu dem Fazit: „Hier tut ein neuer Wind dringend Not.“
Beilage und Anzeigen
Neben den üblichen Meldungen gab es einen täglichen Veranstaltungskalender der katholischen Vereine und sonntags eine eigene Unterhaltungsbeilage, das „Leuchtfeuer“. Sie erschien erstmalig am 18.Juli 1920. Dort fanden sich feuilletonistische Artikel. Typischerweise wurde in der ersten Beilage unter der Rubrik „Literarische Rundschau“ „Der weiße Reiter“ von Franz Johannes Weinrich (1897–1978) empfohlen. Weinrich galt als Schriftsteller, der an die Traditionen der katholischen Hagiografie anknüpfte. Alfred Hausknecht musste letztlich auch auf die Finanzierung des Blattes achten und betonte deshalb: „In erster Linie müssen auch die im ‚Turm‘ inserierenden Geschäfte berücksichtigt und bei den Einkäufen Bezug auf den ‚Turm‘ genommen werden.“ Die „Uhren-Klinik“ Bernhard Dierse aus der Renteistraße7 warb damit, dass man bei ihr immer „Trauringe und billige Uhren vorteilhaft kaufen“ könne. Mit einer überdimensional großen Anzeige warb das „Groß-Etablissement H.Hettlage“: „Für Herren“ befand sich ein „Schlüpfer“ für 500 Mark im Angebot– heute entspräche dies fast 7500 Euro. Dabei muss man allerdings wissen, dass die Verkäufer seinerzeit mit dem Begriff „Schlüpfer“ den „Überzieher“ bezeichneten– einen edlen und vornehmen, weit geschnittenen Herren-Mantel.
Das Ende des „Turm“
Mit der letzten Ausgabe vom 27.Mai 1934 wandte sich Alfred Hausknecht noch einmal direkt an die „Turm“-Leser: „Neue nationalpolitische Formen“ hätten sich „gestaltet“. Die Zentrumspartei habe sich aufgelöst, „um der neuen Volksbewegung auch im katholischen Volksteil den Weg frei zu geben“. Das Drängen der Nationalsozialisten zum Einstellen des „Turm“ sprach er nicht direkt an, er bezog sich auf „grundlegende Änderungen“. Er endete: „Alles für unser deutsches Vaterland und für unsere heilige katholische Kirche!“ Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es keinen Platz mehr für konfessionell ausgerichtete örtliche Zeitungen. „Der Turm“ blieb damit die erste und einzige katholische Tageszeitung Bielefelds.