23.07.2022

Gottes Odem

Neulich präsentierte Joe Biden der Weltöffentlichkeit ein Foto, auf dem Sterne und Galaxien zu sehen waren. Eine Aufnahme, wie man sie bei Harald Lesch oder so schon mal gesehen hat. Warum nun brauchte es für die Präsentation dieses Fotos den amerikanischen Präsidenten, der gemeinhin als der mächtigste Mann der Welt gilt? Weil dieses Foto tatsächlich eine Sensation zeigt, nämlich die Kinderstube des Universums. Mit dem Urknall entstand das Universum vor rund 13,8 Milliarden Jahren, das Bild zeigt einen kleinen Ausschnitt von vor etwa 13 Mrd. Jahren, nach astronomischen Maßstäben kurz danach. Das Licht war also 13 Mrd. Jahre unterwegs, bis das Superteleskop James Webb es fotografiert hat. Heute sieht es in der Gegend vermutlich ganz anders aus.

Solche Erkenntnisse der Astronomie haben sowieso schon und für einen gläubigen Menschen erst recht etwas Schwindelerregendes. Gott ist größer, heißt es doch und nun wird das vermeintlich Kleinere, also das von Menschen Gemachte, Erdachte und Erkannte, immer größer. Wächst Gott da mit? Behält er seinen Vorsprung? Und so landet unsereins fast unweigerlich bei der Frage: Wer oder was ist Gott eigentlich? Wie kann man sich ihn (sie, es???) vorstellen?

Bewährte Quelle ist da nach wie vor die Bibel, die ja auch von der Entstehung der Welt erzählt. Sie tut es nicht im Gegensatz zur Wissenschaft, sondern gewissermaßen auf einer anderen Frequenz. „Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“, heißt es im zweiten Kapitel des Buches Genesis.

Ohne jetzt falsch in die fundamentalistische Ecke abzubiegen, kann man festhalten, dass dieser Vers auch aus naturwissenschaftlicher Sicht etwas Richtiges sagt: Der Mensch besteht tatsächlich aus Staub, aus Sternenstaub nämlich. Und das Atmen macht den Menschen zum lebendigen Wesen. Auch wenn die Verfasser des Buches Genesis nichts vom Urknall oder von Weltraumteleskopen wussten, hatten sie doch das Gespür dafür, dass alles mit allem zusammenhängt.

Das Leitwort des diesjährigen Libori-­Festes lautet „aufatmen“, was ja ein besonders tiefes Einatmen ist. Religiös gedacht, ist es mehr als ein organischer Vorgang, sondern eine Art Fortsetzung des Schöpfungsaktes, ein Einlassen des göttlichen Odems. Und so gesehen könnte Aufatmen nicht nur eine erleichterte Reaktion auf irgendetwas, sondern eine Methode oder gar ein Gebet sein: Man nimmt etwas in sich auf von dem, der immer viel, viel größer ist. Das gilt für jeden Menschen, der atmet, auch für US-­Präsidenten und jene Feldherren, die derzeit die Nachrichten bestimmen. Aber für sie gilt eben auch: Sie sind und bleiben immer kleiner. Denn auch sie müssen irgendwann wieder ausatmen.

Ihre
Claudia Auffenberg

Weitere Berichte zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe. Schauen Sie mal rein, es lohnt sich bestimmt.

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen