23.02.2022

Ukraine und Russland – Wer könnte dem Frieden helfen?

Dr. Johannes Oeldemann ist der Orthodoxie-¬Fachmann im Möhler-¬Institut. (Foto: Martin Schmid)

Mit zunehmender Sorge blicken auch Kirchenvertreter auf den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Der griechisch-­katholische Großerzbischof der Ukraine, Swjatoslaw ­Schewtschuk, hofft gar auf einen Besuch des Papstes, der den Krieg beenden würde. Wirklich?

Paderborn (-berg). Johannes Oeldemann ist eher skeptisch. Er ist Direktor am Johann-Adam-Möhler-­Institut für Ökumenik und dort vor allem mit den orthodoxen Konfessionen befasst. Dem Papst, sagt er, würde er eine solche Reise zwar durchaus zutrauen, aber ob sie den Frieden bringen könnte? Die Ukraine, erst seit 30 Jahren selbstständig, ist aufgrund ihrer Geschichte ein religiös und konfessionell pluraler Staat. Nach jüngsten Umfragen bekennen sich rund 60 Prozent der Bevölkerung zum orthodoxen Glauben.

„Die orthodoxen Kirchen in der Ukraine blockieren sich gegenseitig“

Die Orthodoxie könnte also eine gesellschaftliche Größe mit Einfluss auf die Politik sein, doch sie teilt sich auf in zwei Kirchen: die ukrainisch-­orthodoxe Kirche, die zum Moskauer Patriarchat gehört, und die „Orthodoxe Kirche der Ukra­ine“, eine autokephale, also unabhängige Kirche. Beide sind zumindest auf Leitungs­ebene ei­nander in herzlicher Abneigung verbunden, obwohl es theologisch und liturgisch kaum Unterschiede zwischen ihnen gibt. Oeldemann sieht derzeit kaum eine Chance dafür, dass die orthodoxen Kirchen etwas für den Frieden tun könnten. „Sie blockieren sich gegenseitig“, sagt er. Und so würde es wohl auch Papst Franziskus kaum gelingen, beide Kirchenoberhäupter an einen Tisch zu bringen, „zumindest nicht gleichzeitig“.

Die gegenseitige Abneigung ist der jüngeren Geschichte und einem missglückten Rettungsversuch des Ökumenischen Pa­triarchen von Konstantinopel zu verdanken. Als die Ukraine 1991 nach dem Ende der Sowjetunion unabhängig wurde, gab es auch bei dortigen orthodoxen Christen den Wunsch nach mehr Eigenständigkeit. Zwar gewährte der russisch-­orthodoxe Patriarch von Moskau der ukrainisch-­orthodoxen Kirche weitgehende Unabhängigkeit, allerdings unter seinem Patriarchat, doch manchen reichte das nicht. So bildeten sich zwei weitere orthodoxe Kirchen.

Einfluss des Patriarchen scheint nicht groß genug zu sein

2018 versuchte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., als eine Art Ehrenvorsitzender das Oberhaupt der Orthodoxie, die nunmehr drei orthodoxen Kirchen auf ukraini­schem Boden zu einer zusammenzuführen. Dies misslang – auch, weil der Moskauer Patriarch dagegen war. 2019 verlieh Bartholomäus der neu gegründeten „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ die Autokephalie, die kirchliche Selbstständigkeit. Damit war der eine Konflikt nicht gelöst und zugleich ein neuer entstanden. Kyrill I., der Moskauer Patriarch, kündigte im Nachgang die Kommuniongemeinschaft mit Konstantinopel auf, im Hochgebet der russisch-­orthodoxen Gottesdienste wird Bartholomäus seither nicht mehr erwähnt. Bartholomäus allerdings betet weiterhin für Kyrill.

Dieser wiederum ist in westlichen Nachrichten gelegentlich an der Seite Wladimir Putins zu sehen. Könnte er also auf den Präsidenten mäßigend einwirken? „Ich glaube nicht, dass der Einfluss des Patriarchen so groß ist, wie es aus unserer Sicht erscheint“, sagt Johannes Oeldemann. Ein Indiz für seine Vermutung: Erst seit 2017 gilt Theologie in Russland als Wissenschaft. Bis dahin war ein entsprechendes Studium aus staatlicher Sicht eine Art Hobby, Abschlüsse wurden nicht anerkannt.

Vielmehr lehne sich der Staat an die Orthodoxie an, sagt Oeldemann, „er betrachtet sie gewissermaßen als eine Art nützliche Ersatzideologie für den Kommunismus“. Im Übrigen liege es der Orthodoxie fern, eine kritische Gegenstimme zum Staat zu sein. Immerhin hält sich Kyrill in der gegenwärtigen Lage zurück. Auch die mit ihm verbundene ukrainisch-­orthodoxe Kirche gebe sich sehr bedeckt, so Oeldemann. Die „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ dagegen steht auf der Seite des Staates, das hat Tradition. Ihre Gründung gab im Dezember 2018 der damalige Präsident bekannt, kein Kirchenführer. 

Römisch-­katholische Kirche ist eher eine gesellschaftliche Randerscheinung

Wenn also die Orthodoxen allein nicht zueinander finden, könnten vielleicht die katholischen Geschwister helfen? Immerhin gibt es die schon erwähnte griechisch-­katholische Kirche und eine sehr kleine römisch-­katholische Kirche. Schwierig, meint Oeldemann. Die griechisch-­katholische Kirche steht der „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ nahe, denn zu Sowjetzeiten wurde sie vom Moskauer Patriarchat verfolgt, und die römisch-­katholische Kirche hat vor allem polnische Mitglieder und ist eher eine gesellschaftliche Randerscheinung. 

Die Sache müsse von unten her angegangen werden, sagt Johannes Oeldemann. An der Basis nämlich, also unter den Gemeinden, sind die Probleme nicht so groß bis gar nicht vorhanden. „Den meisten Gläubigen ist es egal, zu welcher der orthodoxen Kirchen sie gehören, das wird eher pragmatisch angegangen.“ Wie es gehen kann, haben sie im Möhler-­Institut selbst ausprobiert und erlebt. Dorthin kommen regelmäßig Stipendiaten aus Osteuropa, also angehende Theologen aus den orthodoxen Kirchen. 2019 gab es zwei ukrai­nische Anwärter aus den beiden orthodoxen Kirchen. Man habe kurz überlegt, erzählt Oeldemann, und dann beide aufgenommen. „Wir waren gespannt, wie das geht. Und: Es ging!“ So also ist Frieden möglich, in der persönlichen Begegnung von Mensch zu Mensch. Und auf noch eins hofft Oeldemann: „Die Ukraine hat eine lange Tradition im friedlichen Umgang der Konfessionen. Ich hoffe, dass man sich dessen wieder bewusst wird.“

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