12.08.2021

Pater Nikodemus – Der kirchliche Kanalarbeiter

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Jerusalem/Rom. Ein Benediktiner, der sich nicht zu fein ist, in die Kanalisation abzusteigen oder Toiletten zu putzen, der aber auch in der hohen Politik zu Hause ist. Pater Nikodemus Schnabel ist in vielen Zusammenhängen präsent. Im Fernsehen zum Beispiel in der ZDF-Reihe „Ein guter Grund zu feiern“. 2003 trat Schnabel in die Benediktinerabtei der Dormitio auf dem Berg Zion in Jerusalem ein. Gerade ist er zum Patriarchalvikar für die Migranten und Asylsuchende sowie Migrantenseelsorge des Lateinischen Patriarchates von Jerusalem ernannt worden. Die Redaktion erreichte ihn in Rom, wo er zurzeit lebt, weil coronabedingt eine Einreise nach Israel nicht möglich ist.

Mit Pater Nikodemus sprachen Patrick Kleibold und
Andreas Wiedenhaus

Pater Nikodemus, Ihre aktuelle Reihe im ZDF trägt den Titel „Ein guter Grund zu feiern“. Warum ist Mariä Himmelfahrt ein guter Grund zu feiern?

Die ZDF-Reihe gibt es ja schon länger. Anfangs war sie so konzipiert, dass die Feiertage erklärt wurden, heute lasse ich mich als Moderator der Sendung zu einem Feiertagsausflug im Geiste des jeweiligen Festtages inspirieren. Die Idee dahinter ist, dass ich als Repräsentant von Kirche hinausgehe in die Welt und mir erklären lasse, was die Menschen bewegt. Kirche leidet ja oft darunter, dass sie Antworten gibt auf Fragen, die keiner stellt, und sie auf die Fragen, die gestellt werden, keine Antworten gibt. Aus diesem Dilemma wollen wir ausbrechen. Hinzu kommt, dass nicht nur geredet wird, sondern ich mit anpacke. Von diesem Mittun lebt die Sendung. Zu Mariä Himmelfahrt bin ich auf einem Bauernhof in Gütersloh-Avenwedde zu Gast, wo ich wirklich beim Melken helfe, im Stall mitarbeite oder Trecker fahre. Ich will verstehen, was die Leute tun. 

Warum ein Bauernhofbesuch zu diesem Feiertag?

Der 15. August ist ja ein wenig ein sommerliches Ostern. Die Volksfrömmigkeit mit der Kräuterweihe zum Beispiel spielt eine große Rolle. Dahinter steht die Verantwortung des Menschen für die wunderbare Schöpfung, die uns von Gott anvertraut wurde. Ein Beispiel dafür sind Menschen, die Tiere halten. Die Idee hinter diesem Beitrag war zu zeigen, wie ein Landwirt mit der Verantwortung für seine Mitgeschöpfe umgeht. 

An wen wendet sich die Sendung, gibt es eine spezielle Zielgruppe?

Menschen, die am Thema interessiert sind, aber nicht notwendigerweise eine Verbindung zur Kirche haben. „Ein guter Grund zu feiern“ ist eine Verkündigungssendung, aber nicht in dem Sinne, dass sie den Menschen das Leben erklärt. Natürlich stelle ich meine Sichtweise als Mönch dar, aber erst, nachdem ich zugehört und mitgearbeitet habe. „Kirche im Dialog“ könnte der Untertitel der Sendung lauten. 

Sie waren zu Mariä Himmelfahrt 2018 zu Libori in Paderborn, Sie haben in den vergangenen zwei Jahren ein Kalibergwerk und eine Fischzucht besucht. Was ist die Idee dahinter? 

Die Reihe wird an den katholischen Feiertagen ausgestrahlt, die nicht bundeseinheitlich sind, also am Dreikönigstag, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen, und zwar im Vorabendprogramm zwischen 17.15 und 17.45 Uhr. Dieses Jahr gibt es eine Ausnahme, weil der 15.August auf einen Sonntag fällt und der Beitrag am Vormittag nach dem Gottesdienst läuft. Wir setzen darauf, dass die Zuschauer gewissermaßen über die Sendung stolpern, wenn sie nach Hause kommen, den Fernseher einschalten und feststellen, heute ist ein Feiertag, von dem sie gar nichts mitbekommen haben, weil sie ja ganz normal arbeiten mussten. Die Sendung lebt davon, dass sie ein wenig überfallartig kommt: Nach einem Magazin erscheint da plötzlich ein Mönch auf dem Bildschirm. 

Und der predigt nicht, sondern steigt zum Beispiel in einen Abwasserkanal!

Genau, Kirche geht nicht zu den Promis, sondern zu denen, die quasi den Laden am Laufen halten: Was würden wir machen, wenn es zum Beispiel keine funktionierende Kanalisation gäbe oder wenn niemand in der Altenpflege arbeiten würde? Wir sind bei denen, die oft vergessen werden und stellen gleichzeitig ihre Sicht auf die Welt vor. Stellvertretend höre ich zu und versuche zu verstehen. Bei den Kanalarbeitern gab es beispielsweise durchaus Parallelen zu meinen Aufgaben: Das was sie tun, sieht man nicht, und es ist trotzdem unverzichtbar. Ähnlich geht es einem Geistlichen beim Beichtgespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch da können Menschen Altlasten abladen. 

Interessanter Ansatz!

In diesem Fall gab es jede Menge Rückmeldungen, in denen Menschen erklärt haben, dass sie endlich verstanden haben, worum es bei der Beichte geht. Ein gutes Beispiel dafür, wie die Sendung funktioniert: Ich nehme mir das nicht vor, sondern es entwickelt sich im Laufe eines Beitrages, in dem zwei Sichtweisen zueinander kommen. 

Gelingt es heute nur noch unterschwellig, die Frage nach Gott bei den Menschen wachzuhalten? Funktionieren religiös tiefer gehende Themen und Inhalte so nicht mehr?

Das ist eine spannende Frage! Wenn man es zu einfach macht, läuft man Gefahr, sich selbst zu verzwergen. Hinzu kommt, dass man so auch die Zuschauerinnen und Zuschauer unterschätzt und unterfordert. Mut zur Tiefe darf und soll man also durchaus haben. Allerdings sollten wir uns dabei vor dem Kirchenslang hüten. Der mag zwar das Richtige meinen und ausdrücken, aber diese Sprache erreicht die Menschen nicht mehr! 

Das heißt, es gibt durchaus einen gemeinsamen Nenner, den man aber erst finden muss?

Eine Frage, die alle Menschen berührt– unabhängig davon, welche Weltanschauung sie haben, ob sie alt oder jung, krank oder gesund sind– lautet: Findet mich das Glück? Vor diesem Hintergrund kann ich als Christ und Mönch Zeugnis davon ablegen, warum ich nicht frustriert bin, sondern meine Lebensform für mich als Weg zum Glück sehe. Auch wenn das viele überrascht! So erreicht man Menschen, und nicht dadurch, dass man zum Beispiel erklärt, wie es mit den Strukturen der Pfarreien weitergehen kann. Das interessiert doch schlicht niemanden, der nicht direkt damit zu tun hat! Da denken die Menschen, „kriegt das einfach hin, als Kirche“, und redet mit mir über das, was mich echt betrifft! Das hält meiner Meinung nach die Frage nach Gott wach! 

In der ZDF-Reihe stellen Sie jede Menge Fragen, in ihrem aktuellen Buch sind Sie befragt worden und haben Antworten auf insgesamt 100 Fragen gegeben. Was steckt dahinter?

Ausgangspunkt für das Buch war eine Serie von Videos auf Youtube, hinter denen junge Menschen stehen, die mit Kirche keinerlei Berührung haben. In einer Folge ging es darum, dass einer von ihnen sich sterilisieren lassen wollte, weil er keine Kinder haben wollte. Die Serie heißt „Deadline“ und ist auf dem Kanal „Hyperbole“ zu finden. In diesem Zusammenhang war ich als Mönch in einer Folge sein Diskussionspartner, um seinen Entschluss kritisch anzufragen. Meine Position, die eben nicht klassisch mit Sünde etc. argumentiert hat, fanden sie sehr interessant und sie hat für viele Gespräche unter ihnen gesorgt, und so haben sie mich auch für ihre erfolgreiche Reihe „Frag ein Klischee“ angefragt. Neben einem Mörder oder einer Domina ist jetzt dort also auch ein Mönch vertreten. 

Wussten Sie, worauf Sie sich einließen?

Zugegeben war ich ziemlich naiv! Ich dachte, es ging zum Beispiel nur um solche Fragen wie „Warum bist du Mönch geworden?“ Doch es kamen auch ganz andere, die mich ziemlich überrumpelt haben, und bei manchen Antworten hatte ich den Eindruck, dass ich mich um Kopf und Kragen geredet hätte. Doch die Resonanz auf das Video war überraschend positiv: Und wir reden hier von vorwiegend jungen, nicht religiösen Zuschauerinnen und Zuschauern! Als daraufhin beim Adeo-Verlag die Idee entstand, ergänzend hierzu ein Buch zu machen, war ich erst skeptisch. Schließlich haben wir uns auf die Form geeinigt, dass mein Co-Autor die vielen auf diesem Youtube-Kanal unbeantwortet gebliebenen Fragen gesammelt hat und sie mir in mehreren Zoom-Konferenzen gestellt hat: Ich habe sie dann, wie im Video, spontan beantwortet. Das heißt, ich habe an den Antworten nicht stundenlang herumformuliert, sondern sie so im mündlichen Gespräch gegeben, was sie authentisch und grundehrlich macht. 

Ist die Gleichgültigkeit der Kirche gegenüber das größte Problem in Deutschland?

Das scheint so: Während in Jerusalem nichts egal zu sein scheint und fast alles politisch und religiös aufgeladen wird, meint man manchmal, in Berlin zum Beispiel sei fast alles egal, so nach dem Motto: Ich mach meins, du machst deins, und wenn nicht, ist es auch egal! In Jerusalem wird fast alles auf Gott bezogen, in Berlin hingegen fast nichts. Deshalb finde ich gerade diese beiden Städte im Dialog miteinander so spannend!

Gab es Fragen, die Sie überrascht haben?

Auf jeden Fall! Zum Beispiel die, ob ich tätowiert bin und wie ich zu Piercings stehe. Das werde ich immer wieder gefragt! Die innerkirchliche Top-Frage an einen Mönch hätte sicherlich ganz anders gelautet! Aber die Frage nach Tattoos wundert mich letztlich nicht: Wenn es um den eigenen Körper geht, dann interessiert die Meinung eines Menschen, der das Image hat, viel Zeit zum Nachdenken zu haben, und der jahrhundertealtes Wissen und Traditionen repräsentiert. Ein anderer großer Fragenkomplex war der nach dem Bösen: Hat das Böse ein Gesicht? Glaubst du an den Teufel? Es gibt offensichtlich Themenfelder, bei denen wir uns als Kirche zu sehr wegducken: Wir betonen immer wieder die Liebe, aber die Frage nach dem Bösen, die gerade viele junge Menschen interessiert, fällt unter den Tisch. 

Das vollständige Interview finden Sie in der Aktuellen DOM-Ausgabe. Hier geht es zum E-Paper und zum Probe-Abo.

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