23.10.2020

Wie der Prophet Ezechiel sich große Katastrophen erklärt

Die Erfahrungen, auf die das Buch Ezechiel reagiert, mache heute vielleicht ein Christ in Syrien, sagt er, denn sie haben mit Gewalt, mit extremer Gewalt zu tun: Mord, Folter, Massenvergewaltigungen. Foto: Stefan Keller/ Pixabay

Erzbistum. Um das gleich mal zuzugeben: Man hat sich auf die falsche Fährte locken lassen. Doch so kommt man gelegentlich zu ganz neuen Erkenntnissen. In der Kaiserpfalz zu Paderborn läuft derzeit eine Ausstellung über das „Leben am Toten Meer“. In der begleitenden Vortragsreihe war der Alttestamentler Prof. Dr. Michael Konkel angekündigt mit dem Thema: „Und die Wasser des Meeres sollen geheilt werden. Utopische Heilsbilder im Buch des Propheten Ezechiel“. Heilsbilder – so was brauchen wir doch im Moment, oder? Also, auf zu Prof. Konkel. Was hat Ezechiel uns in Corona- Zeiten zu sagen?

Extreme Gewalt

Man könnte es kurz machen und den Text hier beenden. Denn die Antwort Konkels lautet: Nichts! Die Erfahrungen, auf die das Buch Ezechiel reagiert, mache heute vielleicht ein Christ in Syrien, sagt er, denn sie haben mit Gewalt, mit extremer Gewalt zu tun: Mord, Folter, Massenvergewaltigungen. Das Buch „spielt“, so muss man sagen, in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft im 6. Jahrhundert vor Christus. Israel wurde von Babylon, der benachbarten Großmacht überfallen, große Teile der Bevölkerung, vor allem die Führungsschicht, ins Exil verschleppt, darunter Ezechiel. 

Tempel zerstört

Im Zuge des Überfalls wurde auch – als Demonstration der Macht – der Tempel in Jerusalem zerstört. Für Israel eine besondere Katastrophe, denn der Tempel war die Wohnstätte Gottes auf Erden. Wie konnte das und all das andere passieren? Warum hat Jahwe das zugelassen? Hat die babylonische Propaganda womöglich recht und Jahwe ist ein schwacher Gott, der gegen den Gott der Babylonier Marduk verloren hat?

Gott übt Gewalt aus

Um diese Fragen kreist das Buch und Ezechiel findet harte Antworten in harten Worten. Israel ist schuld, Gott selbst ist der, der Gewalt ausübt, der dieses Volk, das doch immer von sich glaubte, das auserwählte Volk zu sein, mit größtmöglicher Brutalität niederknüppelt. Da also ist der gewalttätige Gott des Alten Testamentes, „alle Klischees werden bedient“, sagt Konkel. Und wirklich: Man braucht in den Kapiteln 16 und folgende nicht lange zu suchen, um Worte zu finden, die einem den Atem stocken lassen und die man hier gar nicht zitieren möchte. 

Gott wendet das Schicksal

Ezechiel nun verfolgt die These, dass niemand in Israel ohne Schuld ist, das gesamte Volk ist so kaputt, dass von keinem noch irgendwas zu erwarten ist. Die Situation wäre also ausweglos, wenn dieser Gott nicht doch ein treuer und allmächtiger Gott wäre. Er – nur er – kann das Unmögliche möglich machen. Er wendet das Schicksal Israels. 

Schauerliche Vision: Gebeine werden lebendig

Ezechiel beschreibt das in einer großen, schauerlichen und zugleich faszinierenden Vision: Auf einem Feld liegen die Knochen der Toten verstreut, doch auf Gottes Geheiß hin kommt Leben in sie. Sie rücken zusammen, werden mit Sehnen versehen, mit Fleisch umgeben und mit Haut überzogen. Vergänglichkeit im Rückwärtsgang gewissermaßen. Als Paderborner kennt man diese Geschichte, denn sie ist im Dom auf dem gewaltigen Grabmal des Dietrich von Fürstenberg dargestellt, direkt darüber die Auferweckung des Lazarus. 

Israeliten bleiben treu

Auf diesen Gott offenbar vertraut Israel durch alle Katastrophen und Anklagen hindurch. Warum eigentlich? Warum wenden sich die Israeliten nicht ab? „Das weiß man nicht“, sagt Michael Konkel, „man kann nur feststellen: Sie haben es nicht getan.“ Gut, andere Frage: Wa rum fängt Gott sich wieder? Wa rum verliert er nicht die Geduld? Das hat gewissermaßen mit dem Selbstbild Gottes zu tun. „Ich handle allein um meines Namens willen“, lässt Ezechiel ihn sagen. 

Am brennenden Dornbusch

Es geht also gewissermaßen darum, dass Gott seinen Ruf als guter Gott retten will, sagt Konkel. Dem Mose am brennenden Dornbusch und später Abraham, Isaak und Jakob hat er sich als treuer Gott offenbart: als einer, der das Land ohne Vorbedingungen versprochen und dieses Versprechen „auf ewig“ gegeben hat. „Wenn also dieser Gott sich nicht selbst widersprechen will, kann er gar nicht anders“, so Konkel.

Gott nicht auf Beifall aus

Na also, das könnte doch ein Argument für heute sein, oder? Man könnte doch angesichts der Pandemie Gott dezent oder auch weniger dezent an dieses Versprechen erinnern! Konkel zögert. Es geht Ezechiel um einen treuen Gott, nicht um einen narzisstischen, der auf Beifall aus ist. 

Warum kommt der Mensch nicht allein zurecht?

Doch es gibt eine andere Spur, in die Ezechiel womöglich ermutigend in die Gegenwart hineinragt: Das Thema, um das es ihm geht und das der Apostel Paulus weiterdenkt, ist die Frage, warum der Mensch nicht von allein zurechtkommt. Irgendwas steckt im Menschen, das ihn am Guten hindert. (Vielleicht etwas schlicht auf heute gewendet: Warum feiern Menschen trotz Corona Partys?) 

Gott macht den ersten Schritt

Wenn dieser Mensch dennoch eine Zukunft haben soll, dann nur, weil Gott den ersten Schritt tut und den Menschen neu macht. Davon erzählt die letzte alttestamentliche Lesung der Osternacht, einer der ganz wenigen Texte Ezechiels, die in der Liturgie vorkommen: „Ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist.“

Info

Prof. Dr. Michael Konkel (Jg.1969) ist seit 2008 Professor für die Exegese des Alten Testamentes an der Theologischen Fakultät Paderborn.

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