31.01.2020

Adiós Macho

Die Teilnehmer*innen bei Rollenspielen während des Seminars. Fotos: Boueke

Hunderte weltwärts-Freiwillige aus Afrika, Asien und Lateinamerika leisten Sozialdienste in Deutschland. Nach ihrer Heimreise nehmen sie an einem Rückkehrseminar in ihrem Heimatkontinent teil, um sich über ihre Dienstzeit austauschen zu können. Häufiges Thema: kulturelle Unterschiede im Verhältnis zwischen Frauen und Männern und die Bedeutung der Religion.

Manchmal hüllt Wendy López ihren kleinen Körper in eine bunte Tracht der indigenen Bevölkerung ihrer Heimatstadt Oaxaca. Auf deutschen Straßen waren die grellen Farben Mexikos ein genauso auffälliger Blickfang wie ihr herzliches Lachen. Anderthalb Jahre lang war die heute 28-jährige Wendy im Rahmen des Süd-Nord-Programmes des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit weltwärts-Freiwillige in Deutschland. „Für mich als mexikanische Frau war es eine besondere Erfahrung, den deutschen Alltag zu erleben“, erzählt Wendy. „Zum Beispiel konnte ich bis ein Uhr morgens auf einer Feier bleiben und danach allein nach Hause gehen, ohne mir Sorgen zu machen, dass mir jemand etwas antut. Ich wusste: Die Wahrscheinlichkeit, entführt zu werden, war sehr gering.“

Das Welthaus Bielefeld hatte Wendy nach Deutschland eingeladen. Die weltwärts-Entsendeorganisation schickt jedes Jahr fast 100 junge Deutsche in den globalen Süden, empfängt aber auch mindestens 15 Frauen und Männer aus Lateinamerika und Afrika. Der ehrenamtliche Welthaus-Mitarbeiter Heiner Wild engagiert sich seit fünf Jahren für einen gleichberechtigten Austausch zwischen Nord und Süd. „Wir wollten, dass weltwärts keine Einbahnstraße bleibt“, erklärt er. „Mittlerweile kommen regelmäßig junge Leute aus unseren Partnerorganisationen hierher und leisten Dienste in sozialen Einrichtungen.“

Einer der Freiwilligen war Luis Techo aus Chiapas, im Süden Mexikos. Auf einem Ökobauernhof hat er Personen mit körperlichen Einschränkungen betreut. Während seines Freiwilligenjahres konnte er beobachten, dass viele Frauen in Deutschland mehr Möglichkeiten haben als Frauen in Mexiko. „Viele studieren, arbeiten und leben unabhängig. In meiner Stadt sieht man das nicht so oft.“

Ein Blick zurück

Zurück in Lateinamerika treffen sich Luis und Wendy auf einem Rückkehrseminar in Guatemala wieder. Der Seminarleiter Joel Lanuza aus Nicaragua war im Jahr 2014 selber einer der ersten Freiwilligen des Süd-Nord-Programmes: „Bei uns in Mittelamerika gelten unsere mexikanischen Nachbarn als besonders machistisch. Dieser Männlichkeitswahn hat einen enormen Einfluss auf die Kultur unserer Länder. Viele Leute sehen jeden Tag Fernsehserien aus Mexiko oder hören mexikanische Musik, wo es meist um Sex geht, oder darum, wie du eine Frau rumkriegen kannst.“

Jungen Leuten in Mexiko fehlt es an Räumen, in denen sie sich über Sexualität austauschen könnten, in denen sie über die Kommerzialisierung der Erotik diskutieren, über Macht und Gewalt. Joel meint, die Kirchen könnten solche Räume bieten, tun es aber nicht. „Sex wird tabuisiert. Die Bibel wird so interpretiert, als ob sie vorschreiben würde, dass der Mann die Entscheidungen treffen muss. Die Frau hat sich zu fügen. Wenn du diese Botschaft von klein auf zu hören bekommst, dann ist es schwierig, sich ihr zu entziehen. Sie prägt deine Persönlichkeit. So trägt die Religion dazu bei, dass sich die Mentalität des Machotums in Lateinamerika weiter festsetzt.“

So ein Macho war auch Wendys Vater. „Als ich geboren wurde, hatte er meine Mutter schon verlassen“, erzählt sie. Fast zur gleichen Zeit bekam seine erste Frau ein Kind von ihm. „Mein Halbbruder wurde am 4.Juli geboren und ich am 31.Juli. Seine erste Tochter kam schon im April desselben Jahres zur Welt.“

Für viele verheiratete mexikanische Frauen kommt es nicht infrage, sich selber so zu verhalten wie ihre Männer. Sie sehen ihre Bestimmung im Heim und in der Rolle der aufopferungsvollen Mutter. Dabei orientieren sie sich an zwei Frauenbildern der Bibel, meint Wendy: „Eva gilt als die Versuchung und Sünde. Sie steht für das Schlechte in dieser Welt. Maria hingegen ist die Leidensfähige, die weinende Begleiterin des Kreuzweges. Eva und Maria sind die beiden wichtigsten Vorbilder für Frauen in Mexiko.“

Luis ist überzeugt, dass die alltägliche Unterdrückung der Frau in Mexiko viel ausgeprägter ist als in Deutschland. „Früher ist mein Vater manchmal plötzlich bei uns zu Hause aufgetaucht. Dann wollte er immer seinen Willen durchsetzen. Er hat meiner Mutter verboten, eine Beziehung zu einem anderen Mann einzugehen. Oder er hat gedroht, ihr weh zu tun, sie aus dem Haus zu werfen. Er sagte: ‚Ich kann dich töten.‘“

Solche Drohungen werden nur zu oft in die Tat umgesetzt. Mexikos nationales Institut für Statistik identifiziert Mord als die zweithäufigste Todesursache von Frauen. Gewalttätige Partner sollen für täglich sieben Frauenmorde verantwortlich sein. Zum Vergleich: In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner ermordet. Solche Gewalt wird häufig durch Eifersucht ausgelöst, erklärt Wendy. Sie ist empört: „Diese Männer sehen Frauen als Objekte, die sie besitzen können. Mein Vater war Alkoholiker. Meine Halbgeschwister haben oft gesehen, wie er ihre Mütter geschlagen hat. Für mich selbst gab es eigentlich nie eine Vaterfigur, und wenn er mal da war, war er gewalttätig.“

Die ganze Reportage finden Sie im DOM Nr. 5. Jetzt unverbindlich vier Ausgaben im Probeabo testen. 

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