26.09.2019

Zeit für einen Perspektivwechsel

Ein Foto aus Brasilien. Menschen wie er sind auch deshalb arm, weil wir reich sind. Wir wissen es längst.Foto: Bastian Bernhard/Adveniat

Das Leben aus der Sicht anderer – besonders der ­Armen – sehen, entspricht dem Beispiel Jesu.

von Katharina Mock

Vor Kurzem berichteten die Medien, dass der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller, die finanzielle Hilfe für ein Projekt zum Schutz der Regenwälder im Amazonasgebiet Brasiliens einstellen will. Einige Tage später erklärte der brasilianische Präsident Bolsonaro öffentlich, dass Brasilien nicht auf finanzielle Hilfen aus Deutschland angewiesen sei. Man wolle sich nicht vorschreiben lassen, wie mit den eigenen Ressourcen umgegangen werden solle.

An diese Nachrichten wurde ich erinnert, als ich das heutige Evangelium las. Jesus stellt uns in seinem Gleichnis unterschiedliche Menschen vor. Auf der einen Seite erzählt er von einem sehr reichen Mann, der in der Erzählung Jesu namenlos bleibt. Ihm gegenüber steht ein armer Mann mit dem Namen Lazarus. In Jesu Gleichnis lebt der Reiche in Saus und Braus, lässt es sich gut gehen und feiert jeden Tag berauschende Feste. Den Armen vor seiner Tür, dem die Hunde die Geschwüre ablecken und der gerne seinen Hunger mit den Abfällen vom Tisch des reichen Mannes gestillt hätte, übersieht er geflissentlich.

Einen ähnlichen Gegensatz erkenne ich auch zwischen den reichen Grundbesitzern im Amazonasgebiet Brasiliens und den armen Ureinwohnern. Die Grundbesitzer dort wollen immer mehr Flächen abholzen – zum Weiden ihrer Viehherden und zum Soja­anbau – und entziehen damit den Armen ihre Lebensgrundlage.

In Jesu Gleichnis kommt es durch den Tod der beiden Männer plötzlich zu einer Verkehrung der Lebensumstände für beide und somit zu einem Perspektivwechsel. Der arme Lazarus wird von Engeln auf Händen getragen und der Reiche erlebt viele Qualen, die er vor seiner Haustür zwar gesehen hat, von denen er sich jedoch nicht vorstellen konnte, dass ihm einmal ein solches Schicksal ereilt. In seiner neuen Situation sieht er nun Lazarus und bittet Abraham da­rum, ihm diesen Armen, den er immer übersehen hat, zur Hilfe zu senden. Von Abraham bekommt er jedoch zu hören, dass er seine Chance im Leben hatte, denn Gott hat sich in seiner Schöpfung und durch Mose und die anderen Propheten offenbart.

Gottes Offenbarung hört jedoch nicht mit Jesu Sterben und Tod auf. Wir erleben Jesu Gleichnis in ähnlicher Weise täglich. Wir wissen, dass die Armut von Menschen in einem Teil unserer Welt mit der Lebensführung der Menschen in den sogenannten Wohlstandsländern zusammenhängt.

Wir erleben, dass Menschen vor der Armut in ihren Ländern flüchten und lieber im Mittelmeer ertrinken, als länger diesen menschenunwürdigen Zuständen in ihren Herkunftsländern ausgeliefert zu sein. In Europa haben Menschen Angst, von ihrem Wohlstand abzugeben und die Politiker aller europäischen Länder beraten, wie man die Grenzen dichter machen kann. Ja, politische Parteien nutzen es für ihre eigenen Zwecke aus, dass es Menschen gibt, die ihren Wohlstand für sich behalten wollen.

Auch der Blick nach Amerika und in andere Teile der Welt zeigt, dass momentan die politischen Kräfte an Zulauf gewinnen, die eine Politik des Egoismus, der Abschiebung, der geschlossenen Grenzen und der versteinerten Herzen verfolgen.

Die Botschaft des heutigen Evangeliums sagt mir: Die von Gott geschaffene Welt ist nicht angelegt für einen Ego­trip von wenigen. Die Worte Jesu machen deutlich, dass wir Menschen füreinander Verantwortung tragen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Deshalb ist ein Perspektivwechsel notwendig. Die Erde mit ihren Ressourcen ist uns zur Verfügung gestellt. Voll Dankbarkeit sollten wir darauf schauen, wie gut es uns geht, und mit welchen Gaben wir gesegnet sind. Dann fällt es leichter zu teilen und mit offenen Armen und Herzen denen zu begegnen, die unsere Hilfe nötig haben.

Zur Autorin:

Schwester M. Katharina Mock ist Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vincenz von Paul im Mutterhaus in Paderborn.

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