10.05.2019

Auf Jesu Stimme hören

Wer auf Jesus hört, wird immer mehr zu ihm gehören und Orientierung finden.

von Michael Menke-­Peitzmeyer
 
Zu den vielen Alltagswundern gehört auch das Phänomen der menschlichen Stimme. Deutlich wird dies unter anderem dadurch, dass es bis heute noch nicht gelungen ist, ein Musikinstrument herzustellen, das es mit der menschlichen Stimme, insbesondere mit ihrer Schmiegsamkeit, ihrer Elastizität und ihrer Beweglichkeit sowie mit ihrem Resonanzkörper aufnehmen könnte. Ich muss gestehen, dass für mich die Vielfalt menschlicher Stimmen schon immer etwas Faszinierendes war. Und schon so manches Mal habe ich mir bei älteren Ton- oder Bildaufnahmen einen Eindruck von der Stimme bedeutender Persönlichkeiten verschafft.
 
Da kann man so manche überraschende Entdeckung machen: Denn unsere Stimme ist ja ein deutliches Kennzeichen unserer Persönlichkeit und auch ein Spiegel unseres Charakters. Sie gibt nicht nur Hinweise auf unsere Herkunft und unsere Bildung, sie lässt auch unsere innere Haltung und unsere seelische Verfassung erkennen. Sie bringt unser Innerstes zur Sprache; denn in unserer Stimme sprechen wir uns selber aus. Wir können unsere Stimme verstellen, wenn wir das Bedürfnis haben, nicht bei der Wahrheit zu bleiben und unserem Gegenüber etwas vortäuschen wollen. Und wir können unsere Stimme gezielt einsetzen, wenn wir ein bestimmtes Gefühl, wie z. B. Begeisterung oder Ärger, zum Ausdruck bringen wollen. Die Stimme bietet eine ganze Klaviatur von Ausdrucksmöglichkeiten.
 
Schon oft habe ich mich gefragt, was für eine Stimme Jesus von Nazareth wohl gehabt haben mag. Dazu angeregt hat mich das Wort aus dem Johannesevangelium: „Meine Schafe hören auf meine Stimme“ (Joh 10,27). Jesus begegnet uns hier in der Rolle des guten Hirten, dem daran gelegen ist, Vertrauen zu Menschen aufzubauen, sie sicher zu begleiten und zu ihremZiel, dem ewigen Leben zu führen. Jesus muss eine Stimme gehabt haben, die das Letzte und Tiefste im Menschen ansprechen konnte, um ihn in Bewegung zu bringen, zu motivieren und schließlich zu einem anspruchsvollen Lebensziel zu führen. Es muss die Stimme des „guten“ Hirten gewesen sein, die authentisch und unverwechselbar war, Menschen aufrüttelte und gleichzeitig motivierte, der Spur des Propheten aus Nazareth zu folgen.
 
Wie aber lerne ich die Stimme des guten Hirten kennen und schätzen? Gelingen kann dies nur durch das beständige Hören auf sein Wort. Aus diesem Grunde schlug der französische Schriftsteller François Mauriac regelmäßig das Neue Testament auf, um das Wort Jesu an seiner Quelle aufzufangen: „Um das zu erreichen, verlasse ich mich jetzt weniger auf professionelle Exegeten als auf mein inneres Ohr. Es gibt einen Ton, den ich erkenne, eine Sprache, von der ich gewiss bin, dass sie mich nicht täuscht. Welcher Mensch hat jemals gesprochen wie Jesus Christus?“
 
Das Hören auf Jesu Wort schärft jedoch nicht nur mein Ohr für die Unverwechselbarkeit und Vertrauenswürdigkeit seiner Stimme. Es lässt mich die Nuancen und mit ihr die Tiefe seiner Botschaft besser verstehen und verwandelt so auch mein Inneres. Auf diese Weise bekomme ich nicht nur eine Ahnung von der Größe Gottes; ich gelange zugleich auf den Weg, der mich zur Gemeinschaft mit ihm und schließlich zum ewigen Leben führt.
Ich selbst habe es oft erfahren und gebe es gerne anderen Menschen in seelsorglichen Gesprächen weiter: Wer Jesus und seine Frohe Botschaft besser kennenlernen und tiefer erfassen will, der sollte sein Ohr am Munde Jesu haben: täglich neu, in kleinen Portionen, aber beständig. Wer sich der Stimme Jesu öffnet, hört Worte, die tragen, halten und Orientierung geben. Worte, die durch schwierige Lebens­phasen und in Krisen tragen und auch in großer Not Kraft und Geborgenheit schenken. Nur deshalb kann Jesus wenig später sagen: „Sie [also diejenigen, die auf ihn hören, Ergänzung MP] werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen“ (Joh 10,29). Und zum Abschluss ein praktischer, lebens­naher Tipp aus dem Hebräer­brief: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, ver­härtet eure Herzen nicht!“ (­Hebr 3,15)
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