31.01.2019

„Schwestern und Brüder“

Ist nicht nur äußerlich neu, auch innen gibt es Neuerungen: das Lektionar. Foto: KNA

Seit Advent ist im Gottesdienst die revidierte Einheitsübersetzung der Bibel zu hören. Mitgewirkt daran hat Prof. Egbert Ballhorn, Exeget am Institut für katholische Theologie der Technischen Universität Dortmund. Er wird in lockerer Folge einige Änderungen erklären. Wir beginnen mit der Frage: Im revidierten Lektionar steht – wie heute in der zweiten Lesung – nun ganz offiziell als Anrede „Schwestern und Brüder!“ Warum?

von Egbert Ballhorn:

Paulus lebte in einer patriarchalisch geprägten Welt. Männer hatten das Sagen in der Öffentlichkeit. Und wenn Paulus in seinen Briefen die Mitglieder seiner Gemeinde anspricht, dann nennt er sie ganz selbstverständlich „Brüder“. Allerdings: Es sind nicht nur Männer gemeint. Am Ende vieler Briefe fügt er Grußlisten an und darin kommen Frauen und Männer gleichermaßen vor (z. B. Aquila und Prisca in 1 Kor 16,19 und vor allem Röm 16). Nicht nur sind Frauen aktiv in den Gemeinden tätig, eine Frau wird von Paulus sogar ausdrücklich unter die Apostel gerechnet: „Grüßt Andronikus und Junia […], sie ragen heraus unter den Aposteln“ (Röm 16,7). Das war allerdings in der bisherigen Einheitsübersetzung nicht erkennbar, denn weil man bisher dem Wortlaut nicht getraut hatte, war in der deutschen Übersetzung aus der Junia ein Junias geworden, ein Mann! Dieser Fehler ist endlich korrigiert.

Also: Es gab eigenständige und aktive Frauen in der Welt der frühen Gemeinden, nur waren sie sprachlich nicht ausreichend sichtbar. Wenn man aber auf die Suche geht, wird man in reichem Maß fündig. Und wenn Paulus in seinen Briefen die Gemeindeglieder anredet, dann sind zweifellos Frauen und Männer gleichermaßen angesprochen. Unser deutscher Sprachgebrauch hat sich demgegenüber geändert. Wenn wir „Brüder“ hören, dann klingt es so, als seien die Schwestern ausdrücklich ausgeschlossen. Insofern war es eine Frage der Wahrhaftigkeit, dass die revidierte Einheitsübersetzung nun an den Stellen, wo Paulus die Gläubigen anredet, ganz selbstverständlich mit „Schwestern und Brüder“ übersetzt. Diese Übersetzung holt nicht den Wortlaut ein, wohl aber ganz fraglos den Sinn der Aussage, damals wie heute. Dieses Prinzip hat man bei der Revision der Einheitsübersetzung weitgehend berücksichtigt, aber nicht ganz konsequent. In 1 Kor 15,6 heißt es kurzerhand immer noch: „danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich“. Aber dass der Auferstandene ausschließlich einer Gruppe von Männern erschienen sein soll, erscheint wohl kaum vorstellbar. Dafür hat man an anderer Stelle übersetzt: „denn die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes“ (Röm 8,14), wobei man in der Übersetzung die „Söhne“ des griechischen Urtextes besser um die Töchter ergänzt hätte, statt allgemein von Kindern zu sprechen. Denn hier geht es um den Geist der Sohnschaft, den die Gläubigen in der Nachfolge Jesu Christi, des Sohnes Gottes, empfangen haben. Man sieht also: Jede Übersetzung ist mit Vor- und Nachteilen erkauft, die eine und auf immer richtige Entscheidung kann es nicht geben. Und: Die Problematiken liegen schon in den Urtexten selbst, beim Übersetzen treten sie nur umso deutlicher vor Augen und verlangen Entscheidungen.

Eine Tatsache soll aber in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden. Während Paulus nur ab und an sein Anrede der Gemeindemitglieder mitten in die Sätze einstreute, beginnt in der Liturgie jede Brieflesung grundsätzlich mit der Anrede „Schwestern und Brüder!“. Der Gewinn besteht darin, dass hier in der gottesdienstlichen Verlesung eine Brücke von der damaligen zur heute versammelten Gemeinde geschlagen wird. Nur: Es werden ja gar nicht die gesamten Briefe gelesen, sondern winzigste Schnipsel daraus von wenigen Versen. Die Anrede suggeriert, als würde hier ein in sich geschlossener Abschnitt vorgelesen werden. Das ist aber selten der Fall. Wenn also gerade die neutestamentlichen Brieftexte als anspruchsvoll und schwer verständlich empfunden werden, liegt es vielleicht auch daran, dass hier nur ein Ausschnitt aus einem ganzen Gedankengang vorgestellt wurde.

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