29.03.2017

Abreagieren

Abreagieren

Um Bilder des Leids geht es in der Fastenzeit auf dieser Seite. Gehört der Künstler Gerhard Staufenbiel in diese Reihe? Er selbst ist bei der Terminvereinbarung ein bisschen überrascht. Aber bitte: Eines seiner Hauptmotive der vergangenen Jahre ist der Schädel. In unzähligen Varianten hat er ihn gezeichnet.

von Claudia Auffenberg

In der christlichen Ikonografie ist der Schädel ein eindeutiges Symbol für den alten Adam, für Tod und Sünde. Aber das katholische Auge ist womöglich allzu festgelegt und sieht gleich Sünde, wo zunächst nur ein Schädel zu sehen ist. Gerhard Staufenbiel ist vom Schädel fasziniert. Und man muss es zugeben: Der Schädel an sich ist faszinierend. Und ein bisschen gruselig. Ist der Schädel ein Bild des Leids? „Ich weiß es nicht“, sagt Staufenbiel.

Man muss wohl sagen: ja und nein. Einerseits ja, weil ein Schädel nur zu sehen ist, wenn jemand tot ist – und selbst dann sieht man ihn doch eher selten, im Museum vielleicht. Andererseits nein, weil natürlich jeder einen Schädel bei sich hat. Wer in den Spiegel schaut, sieht seinen eigenen Schädel – ohne ihn direkt zu sehen.

Das abgedruckte Bild (Format 24 x 18 cm) ist kein Schädel, sondern ein Kopf. Das ist ein Unterschied. Ein Kinderkopf, eine Kindermumie oder ein Christusknabe womöglich? Immerhin sind doch ein Kreuz und sogar ein Heiligenschein angedeutet. Das hat Staufenbiel in seinem Bild noch nicht gesehen. „Möglich“, sagt er. Einen Kinderkopf allerdings, ja, den erkennt er auch. „Und es ist kein glückliches Kind.“ Das Motiv dieses Kinderkopfes taucht öfter in seinen Bildern auf, er weiß gar nicht genau, woher der kommt. Wenn man ihn fragt, was er sieht, wenn er das Bild anschaut, antwortet er: „Ich sehe ein gelungenes Aquarell.“ Beim Aquarell wisse man nie, wie es aussehen wird, wenn alles getrocknet ist.

Gerhard Staufenbiel lebt heute in Paderborn. Geboren wurde er 1938 in Magdeburg. Allein diese beiden Fakten reichen aus, um zu ahnen, wie seine Jugend war. Das Schicksal ist natürlich immer individuell, aber generell kann man sagen, dass seine Generation schon früh mit Sünde und Tod Bekanntschaft gemacht hat. Und im Krieg sterben nicht nur die Soldaten. Zu den Toten des Krieges gehören auch die Liebe, die Hoffnung, das Reden. Wenn man seine Bilder anschaut, die im Atelier hängen, dann könnte man für ihn ergänzen: und die Farben. Staufenbiels Bilder sind nicht schwarz-weiß, aber wirklich farbig sind die wenigsten.

Hat die Kunst, hat seine Kunst mit Leid zu tun? Gerhard Staufenbiel zögert. Ja, schon, irgendwie. Er verwendet das Wort „abreagieren“, spricht vom Verarbeiten von Lebenserfahrung. Aber eigentlich hat er eine andere Perspektive, eine andere Motivation. Er malt nicht, um zu Papier zu bringen, was ihn bedrückt, sondern was ihn fasziniert. Dass es am Ende Bilder sind, in denen andere Leidensmotive erkennen, nimmt er in Kauf.

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