24.03.2017

Freiheit – oder eher das Gegenteil?

„Am liebsten beides! – Vom Entscheiden zum Entschließen“, hieß das Thema beim Forum Berufungspastoral mit Haupt- und Ehrenamtlichen in der Katholischen Akademie Schwerte. Dazu referierte Pater Dr. Thomas Gertler SJ. Foto: Wiedenhaus

Schwerte. Dutzende Sorten Joghurt im Supermarkt, zig Fernsehprogramme, Urlaubsziele weltweit – Wahlmöglichkeiten „ohne Ende“ in jeglicher Beziehung. Das klingt gut – nach Freiheit. Doch unendlich viele Optionen zu jeder Zeit bewirken heute häufig genau das Gegenteil, sagt Pater Dr. Thomas Gertler: „Alles sofort haben und tun zu wollen, führt uns letztlich die Begrenztheit unserer Freiheit vor Augen.“ Der Jesuit sprach beim Forum Berufungspastoral in Schwerte vor in der Pastoral tätigen Haupt- und Ehrenamtlichen unter dem Titel „Am liebsten beides!“ über den Weg vom Entscheiden zum Entschließen.

von Andreas Wiedenhaus

Dr. Andreas Rohde, Leiter der Diözesanstelle Berufungspastoral, machte es schon in seiner Begrüßung deutlich: „Täglich legen wir uns schnell in vielen Dingen fest, weil nicht viel davon abhängt.“ Wenn es aber wirklich um etwas gehe, „schlügen Herz und Verstand häufig nicht im gleichen Takt“: „Oft steht dann nicht die Entscheidung für etwas im Mittelpunkt, sondern die Tatsache, dass wir damit gleichzeitig andere Möglichkeiten ausschließen.“

Beim Vortrag des Jesuiten, der als Kirchlicher Assistent und Nationalpromotor für die Gemeinschaft Christlichen Lebens in Augsburg tätig ist, sollte es deshalb um spirituelle Kriterien für Entscheidungsprozesse gehen. Denn die Tatsache, einen Entschluss treffen zu müssen, ist für viele Menschen heute eine echte Belastung – und wird zu einer Herausforderung in Begleit- und Beratungsprozessen.

Gertler machte gleich zu Beginn deutlich, dass ein Freiheitsbegriff, der das Ziel verfolge, nichts zu verpassen, von einem grundsätzlichen Missverständnis geprägt sei. Eine solche Haltung im Leben führe zu Hektik und gleichzeitig zu Zeitvergeudung. Denn das Warten auf „etwas Besseres oder den Besseren“ laufe oft darauf hinaus, irgendwann mit leeren Händen dazustehen. Ein Zustand, der – je länger er anhalte – die Gefahr in sich trüge, das ganze Leben zu bestimmen und es letztlich unter Umständen sogar scheitern lasse.

Mit Blick auf die „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ des Ordensgründers Ignatius von Loyola lautete Gertlers Empfehlung, „den Blick zu wandeln weg vom Verlust hin zum Gewinn“ und in diesem Zusammenhang lieber vom „Entschließen“ statt „Entscheiden“ zu sprechen: Das Wort Entscheidung trage von seiner Bedeutung des „Scheidens“ einen negativen „Beigeschmack“ in sich: „Ich muss eine Möglichkeit wählen und viele andere ausschließen. Ich schaue mit Bedauern auf den Verlust unendlicher Lebensmöglichkeiten.“

Das „schöne deutsche Wort entschließen“ sei dagegen in der Weise positiv besetzt, dass „ich mich einer Möglichkeit aufschließe“: „Ich öffne mich einer Möglichkeit, nehme sie wahr und erkenne, dass es um einen Gewinn geht und nicht um einen Verlust!“

Bei diesem Wechsel des Wortes geht es nach Meinung des Jesuiten um den Wandel der Einstellung: „Weg von der Verlustangst hin zur Freude des Wagnisses und des Gewinnes.“ Diese Blickveränderung sei, so Gertler, eine wirkliche Umkehr und Bekehrung.

„Gott führt uns durch die Freude, sie ist der Kompass zu Gott“, beschrieb Pater Gertler das zentrale Kriterium für einen Entschluss. Die Erfahrung der Liebe Gottes könne so zur Kraftquelle werden, um aus der Unentschiedenheit he­rauszukommen und selbst ein liebender Mensch zu werden.

In der anschließenden Diskussion riet Gertler gerade mit Blick auf junge Menschen dazu, ihnen Verantwortung zu geben – ein zentraler Schritt hin zum Erwachsenwerden. Das dürfe und müsse sogar mit Risiken einhergehen: „Manchmal muss man anderen Verantwortung zumuten, denn ohne Krisen kann keine Reifung im Leben geschehen.“ Dass dieser Prozess für die junge Generation durch viele gesellschaftliche Entwicklungen erschwert werde, gestand der Jesuit zu: Jahresverträge im Beruf etwa seien keine Basis für langfristig wirkende Entschlüsse.

Auf der anderen Seite, so Gertler mit Blick auf das Thema „Berufung“, sei es entscheidend, die eigene Person ganz in den Fokus zu rücken: „Nach innen still werden, um so den Ruf Gottes hören zu können.“ Dazu allerdings müsse man „das Handy aus der Hand legen“ und die Einflüsse von außen komplett abschalten.

Vertieft wurde das Thema am Nachmittag in verschiedenen Workshops. Dabei ging es um „Berufungscoaching“ und das Projekt eines pastoralen freiwilligen sozialen Jahres sowie um die Sinus-Milieustudie. Berührt wurde dabei immer wieder die Frage, wie Jugendliche heute den Glauben leben.

Dabei warnte ein Teilnehmer davor, junge Menschen hier zu überfordern oder Angebote für sie zu „überfrachten“: „Wir sollten das Leben der Jugendlichen heute akzeptieren und versuchen, es so, wie sie es leben, mit Glauben in Verbindung zu bringen.“ Das Thema Glaube fänden viele junge Menschen grundsätzlich interessant – als „Teil ihres Lebens“.

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