03.06.2016

Wer bringt es übers Herz?

Eine der ersten richtigen Diskussionen, die man ja als Kind mit den eigenen Eltern geführt hat, kreiste um die Frage, warum man nicht – bitteschön – einen kleinen Hühnerstall haben könnte, gern im eigenen Zimmer.

Immer – IMMER! – würde man sich um das Federvieh kümmern. Anlass war die Begegnung mit Hühnerküken, also mit diesen entzückenden, gelben Flauschbällchen, dem Sinnbild von Unschuld und Schutzbedürftigkeit, das man als Kind einfach nur ans Herz drücken möchte. Vorsichtig natürlich. 50 Millionen dieser Geschöpfe, – als Zahl: 50 000 000 – landen jedes Jahr in Deutschland nach dem Schlüpfen im Schredder oder werden vergast. Das ist legal, wie dieser Tage das Oberverwaltungsgericht Münster festgestellt hat.

Später, in der Jugend, hat man tiefbewegt die Rede vom Häuptling Seattle gelesen, anderen vorgelesen, eigentlich eher vorgehalten: „Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns.“ Die Schöpfung, so war klar, die Natur, das alles ist Werk Gottes, von Gott gewollt, beseelt, gesegnet und daher irgendwie unantastbar. „Der Mensch gab Namen allem Vieh“, heißt es in der Bibel und so hätte man das als Kind natürlich auch mit den Küken gemacht. Aber 50 Millionen – und das sind ja nur die Männchen – sind dafür zu viele. Da kann man nicht einmal mehr nummerieren. Dennoch: Wer wirft sie in den Schredder? Wer bringt das übers Herz? Wie geht es diesen Menschen damit? Und wer bringt sie dazu, es zu tun?

Was ist das eigentlich in dieser Welt? Tiere sind Rohstoffe, Grabsteine werden von Kindern aus dem Steinbruch geschlagen, Jeanshosen unter unwürdigsten Bedingungen genäht und Handys mit Rohstoffen bestückt, mit denen Bürgerkriege finanziert werden … Wie konnte es bloß zu all dem kommen? Man selbst ist nicht richtig Opfer, auch nicht Täter und hängt doch irgendwie mit drin, ohne zu wissen, wie man da herauskommen soll. Ach, manchmal übermannt einen das alles …

Claudia Auffenberg

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