08.10.2015

Danke schön, Deutschland!

Die ungewohnte Fürsorge für seine Tochter bewegt ihn: Avno Milkuni im Gespräch mit Ruth Schmidt (Mitte) und Gisela Weitekamp. (Foto: Flüter)

Wenn in Flüchtlingsfamilien ein Kind mit Behinderung lebt, erschwert das die ohnehin nicht einfache Situation. Zusammen suchen die Migrationsbetreuung MiCado und die Förderschulen die beste Lösung für das Kind. Doch was ist, wenn der Asylantrag der Familie abgelehnt wird?

In der Pause fährt Esmeralda mit ihrem Dreirad rund um den Spielplatz der Liboriusschule. In der kommenden Woche will die Physiotherapeutin der Förderschule versuchen, Esmeralda das Fahren auf einem Zweirad beizubringen. Ob sie das kann, weiß niemand. Es ist so gut wie nichts bekannt über die
16-Jä­hrige, die vor einigen Monaten mit ihrer Familie aus Bosnien geflohen ist und kaum Deutsch spricht.

„Esmeralda gehört in unsere Schule“, ist sich Ruth Schmidt sicher. Sie ist Klassenlehrerin der Klasse 10a der Liboriusschule, in die Esmeralda seit einigen Wochen geht. Das Mädchen ist halbseitig gelähmt und leidet an Epilepsie.

Gisela Weitekamp ist Esmeraldas Förderbedarf zuerst aufgefallen. Die Sozialarbeiterin arbeitet im Caritas-Migrationsdienst MiCado. Sie hat den Kontakt zur Liboriusschule hergestellt. Dort hat die Inte­gration in den Unterricht seitdem große Fortschritte gemacht. Das sei nicht ungewöhnlich, sagt Schulleiter Kunibert Meise. Das Kollegium und die Schüler der Liboriusschule sind es gewöhnt, Andere so auf- und anzunehmen, wie sie sind.

In Esmeraldas altem Wohnort nahe dem bosnischen Tuzla war das nicht so. Sie ist in den letzten Jahren nicht mehr zur Schule gegangen. Die Lehrer hatten der Familie bedeutet, dass Esmeralda den Unterricht stören würde. Das erzählt Esmeraldas Vater Avno Milkuni, als Ruth Schmidt die Familie besucht. Zum ersten Mal kümmern sich fremde Menschen tatsächlich um seine Tochter. In Bosnien hat sich Esmeralda in der Familie versteckt und die Wohnung nicht verlassen. Jetzt langweilt sie sich am Wochenende, sie freut sich zur Schule zu gehen.

Ruth Schmidt und Gisela Weitekamp sitzen in der Unterkunft der Familie: ein großes Zimmer, zwei Schränke, eine Sitzecke, ein Fernseher, in der Ecke fünf Betten nebeneinander. Hier schlafen das Ehepaar und die drei Töchter.

Es könnte alles gut werden, wäre da nicht die Angst, mit der Avno Milkuni jeden Morgen zum Briefkasten geht. Die Familie wartet auf die Entscheidung über den Asylantrag. Als Bosnier gehören sie einer Flüchtlingsgruppe mit eher schlechten Chancen auf eine Anerkennung an. Die Familie hat Angst, in ihr Land zurückzukehren. Es gibt poli­tische Gründe, über die der Vater nicht sprechen kann. Er habe schon vier Jahre in Deutschland gearbeitet, sagt er in gutem Deutsch. Nach dem Bosnienkrieg ging er zurück, gründete eine Familie. „Ich arbeite auf dem Bau, ich will arbeiten“, sagt er.

Doch was ist, wenn die Familie einen Ablehnungsbescheid erhält? Dann können Rechtsmittel eingelegt werden, sagt Gisela Weitekamp. Aus ihrer Sicht sprechen auch humanitäre Gründe für eine Aufenthaltsgestattung: Für Esmeralda wäre die Rückkehr nach Bosnien eine Katastrophe

Avno Milkuni bewegt die Fürsorge für seine Tochter sehr. Für seine Gefühle findet er einen schlichten Satz: „Ich kann nur sagen, Danke schön, Deutschland.“

Karl-Martin Flüter

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