12.04.2018

„Kämen wir heute durch das Raster?“

Klein, zerbrechlich, schutzbedürftig: Menschliches Leben ist gerade dann besonders gefährdet, wenn es nicht den landläufigen gesellschaftlichen Idealvorstellungen entspricht. Foto: KNA

Paderborn/Erzbistum. „Hauptsache gesund!“: In diesem Satz lässt sich wohl die Einstellung der meisten Eltern während der Schwangerschaft zusammenfassen. Zahlreiche Untersuchungen sollen diesen Wunsch möglichst schon vor der Geburt zur Gewissheit werden lassen. Doch was passiert, wenn das Ergebnis eines dieser Tests nicht den Erwartungen entspricht, wenn auffällige Befunde Zweifel aufkommen lassen? Wenn werdende Eltern plötzlich damit konfrontiert werden, dass ihr Kind behindert zur Welt kommen könnte.

von Andreas Wiedenhaus

Um Fragen, Fakten und Hintergründe rund um diese Thematik ging es bei einer Einführungsveranstaltung zur „Woche für das Leben“, die das Bildungshaus Liborianum gemeinsam mit dem Diözesan-­Caritasverband für Interessierte aus Gemeinden, Pastoralverbünden, karitativen Einrichtungen, Verbänden und Bildungseinrichtungen anbot. Ein Satz im Vortrag von Professor Dr. Holm Schneider war es, der die Situation in Sachen Pränataldiagnostik aktuell auf den Punkt brachte: „Jeder von uns trägt in verborgener Form die Gendefekte für vier bis fünf schwere Erbkrankheiten in sich. Jeder! Kämen Sie oder ich noch durch das Raster, das heute angelegt wird?“

Dabei sind es für den Kinderarzt nicht nur die fortgeschrittenen medizinischen Möglichkeiten, die heute immer öfter dazu führen, dass mit Blick auf mögliche Behinderungen wie Downsyndrom „aussortiert“ wird. In seinem Vortrag machte der Mediziner deutlich, dass in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe von Aspekten zusammenhängen. Mit Blick auf Spätabbrüche von Schwangerschaften angesichts einer erwarteten Behinderung stellt sich für den Mediziner nämlich eine Frage: „Ist das wirklich alles die Folge des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren? Oder spiegelt das nicht doch die Fratze einer Gesellschaft, in der Euthanasie-­Konzepte wieder im Kommen sind – und auch den Schwangeren subtil vermittelt werden?“

Schaue man sich den Paragraf 219 StGB an, so mache dieser deutlich, dass die Beratung einer Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage „dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen“ solle. Ein Ziel sei es, der Frau „Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“. Doch die Realität ist nach Schneiders Einschätzung eine andere: „Was da in vielen unserer Frauenkliniken geschieht, hat mit den gesetzlichen Vorgaben nichts mehr zu tun.“ Gerade angesichts der hohen Abtreibungsrate von Kindern mit Downsyndrom müsse man sich fragen, wem man in diesem Moment das Lebensrecht abspreche: „Menschen mit Downsyndrom können einiges erreichen!“ Schneider führte eine Reihe von Beispielen – teilweise aus seiner eigenen Praxis – an, die deutlich machten, wie Kinder und Erwachsene mit dieser Diagnose ein „normales“ Leben führen.

Dr. Werner Sosna, Mitarbeiter im Liborianum und Diözesanbeauftragter für die „Woche für das Leben“, hatte bereits in seiner Begrüßung auf die Schizophrenie einer gesellschaftlichen Entwicklung hingewiesen, die in dem Versprechen gipfele, „eine Welt ohne Leid, Krankheit oder Behinderung errichten zu wollen“ und damit eine gefährliche Illusion erzeuge. Denn die Natur kümmere sich nicht darum, Gattungswesen mit idealen Standards und Normmaßen zu entwerfen: „Sie konfrontiert uns mit der gesamten Bandbreite der menschlichen Existenz.“

Dass die Tendenz trotzdem in eine andere Richtung geht, machte Alexandra M. Linder in ihrem Vortrag „Babys im 21. Jahrhundert – vom Klapperstorch zum Qualitätsprodukt?“ deutlich: „Das Kind ist nicht mehr ein Geschenk, sondern ein bestellbares und qualitätsgeprüftes Produkt – perfekt, gewollt und pünktlich!“ Die Entwicklungen, so die Referentin, in Pränatal-
diagnostik, künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft zeigten eindeutig in diese Richtung.

Dabei, so Linder, gehe es in keiner Weise um die Verurteilung von Menschen, die in schwierigen Lebenssituationen Entscheidungen treffen müssten: „Es geht darum, welche Entwicklungen es in Medizin und Gesellschaft in Bezug auf grundlegende Rechte des Menschen gibt, welche Folgen sie haben oder haben könnten und was man tun könnte und sollte.“

Wie dieses Tun konkret aus Sicht des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) aussieht, erklärte Gabriele Glorius. Sie stellte das Lebensschutzkonzept der katholischen Schwangerschaftsberatung vor.

Weitere Berichte zu diesem Thema finden Sie hier in der Rubrik „Blick ins Leben“ und im DOM Nr. 15 vom 15. April 2018.

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