24.01.2020

„Wir können die Situation nicht schönreden!“

Kardinal Reinhard Marx erhofft sich vom Synodalen Weg eine größere Klarheit, wie es weitergehen soll.Fotos: Robert Kiderle

München. Die Spannung in der katholischen Kirche steigt: 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, 45 Jahre nach dem Ende der Würzburger Synode beginnt Donnerstag die inhaltliche Arbeit des Synodalen Weges. Im Interview exklusiv für die Bistumszeitungen äußert sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zu Hoffnungen und Befürchtungen. Mit ihm sprachen Susanne Hornberger, Chefredakteurin der Münchener Kirchenzeitung, und Ulrich Waschki, Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse aus Osnabrück. 

Herr Kardinal, bald beginnt der Synodale Weg in Deutschland. Die Erwartungen sind riesig. Was darf man realistisch erwarten?

Man darf erwarten, dass sich Priester, Bischöfe und Laien gemeinsam Gedanken machen, wie wir in dieser schweren Umbruchzeit und Krise in die Zukunft gehen. Wir wollen die Kirche nicht neu erfinden. Aber wir haben das Notwendige und Mögliche zu erkennen und dann zu tun. Wir können nicht ausweichen und die Situation schönreden.

Was steht am Ende des Synodalen Weges?

Das weiß ich nicht, sonst wäre ich ja selber der Synodale Weg. Ich hoffe, dass am Ende eine größere Einmütigkeit und Motivation steht, eine größere Klarheit, wie wir weitergehen wollen.

Was erhoffen Sie sich in den einzelnen Themenforen?

Der Ausgangspunkt war die Diskussion um die Missbrauchskrise. Das wird immer schnell vergessen, weil man meint, die Krise sei vorüber. Nein, wir haben uns den Ursachen und Konsequenzen noch nicht ausreichend gestellt. Die Themen des Synodalen Weges sind aus der Studie über den Missbrauch erwachsen. Es ist auffällig, dass die Wissenschaftler dieselben Fragen aufwerfen, die schon seit Längerem in der Kirche diskutiert werden.

Was erwarten Sie konkret im Themenfeld Macht und Gewaltenteilung?

Auch wenn wir in der Kirche in Deutschland eine längere Tradition der Mitverantwortung haben, ist mehr nötig. Macht muss geteilt und kontrolliert werden. Wir müssen sagen können, wir sind in den Entscheidungen transparent, wir haben klare Verantwortlichkeiten, es gibt eine Kontrolle der Macht, etwa durch Verwaltungsgerichtsbarkeit und Nachprüfbarkeit von Entscheidungen. Das ist alles im Ansatz im jetzigen Recht da. Aber da ist noch nicht das erreicht, was man erreichen müsste. Darüber sollte man reden.

Was erhoffen Sie bei der Sexualmoral?

Dass ein Mann und eine Frau wünschen, eine lebenslange Beziehung zu haben, sich für immer zum anderen zu bekennen und das auch in der sexuellen Liebe auszudrücken, ist doch für die meisten Menschen ein richtiges Ideal. Es ist also gar nicht so abwegig, was die Kirche zur Sexualität sagt. Aber wie gehen wir mit Scheitern und Suchbewegungen um? Wie gehen wir mit veränderten sozialen und kulturellen Voraussetzungen um? Sexualität ist etwas Gutes, ein großes Geschenk Gottes. Das sollten wir sagen. Lange Zeit haben wir den Zeigefinger gehoben und gemeint, Sexualität sei eigentlich etwas Gefährliches und Schlechtes.

Was erhoffen Sie bei der Frage der priesterlichen Existenz und Lebensform?

Wir können die katholische Kirche nicht verstehen ohne die Gestalt des Priesters und damit der heiligen Eucharistie. Manche meinen ja gleich, wenn man über das Thema spricht, soll diese zentrale Rolle relativiert werden. Nein. Der katholische Priester ist ein Erkennungsmerkmal, ist Teil des Profils der katholischen Kirche. Aber was bedeutet das? Ich hoffe auf ein Klima, in dem man offen überlegen kann, was wir gemeinsam tun können, damit die Gestalt des Priesters wieder neu leuchtet, die durch die Missbrauchstäter so beschädigt wurde.

Es geht dabei auch um die priesterliche Ehelosigkeit.

Ja, diese Lebensform ist eine besondere Herausforderung. Der Zölibat ist aber denke ich nicht so gedacht, dass Priester alleine in großen Pfarrhäusern leben und sich aus dem Kühlschrank versorgen. Man muss diese Lebensform einbetten in ein soziales Miteinander, eine Lebenskultur entwickeln. Es geht um eine ganzheitliche Berufung und nicht nur um einen Verzicht auf Sexualität. Diese Berufung geht nicht nur die Priester an, sondern das ganze Volk Gottes. Das kann dieser Themenbereich voranbringen. Es wäre sehr traurig, wenn es nur darum ginge, wann wir den Zölibat abschaffen. Ich will ihn jedenfalls nicht abschaffen! Aber schon bei der Amazonas-Synode haben wir diskutiert, ob man über Ausnahmen vom Zölibat neue Wege zum priesterlichen Dienst eröffnen kann.

Was erhoffen Sie sich beim vierten Forum, in dem es um die Rolle von Frauen geht?

Unabhängig von der Frage nach der Zulassung zu den Weiheämtern ist die Beteiligung von Frauen in verantwortlichen Positionen in der Kirche absolut notwendig. Das gilt bis in die Bischofskonferenz, in die Synoden hinein. Ich kann mir in Zukunft nicht vorstellen, dass bei einer Synode 200 Männer zusammensitzen und alleine über die Kirche beraten. Das ist nicht gut. Warum soll nicht am Ende des Synodalen Weges ein Vorschlag stehen, dass Synoden auf Weltebene oder auch auf nationaler Ebene die Laien und besonders die Frauen stärker berücksichtigen, nicht nur als Berater, sondern auch mit einer Stimme?

Gilt das auch für die Bischofskonferenz?

Wollen wir in Zukunft Bischofskonferenzen, wo nie Frauen oder überhaupt Laien präsent sind? Wir wollen nicht im geschlossenen Kreis über die Zukunft der Kirche reden. Ich kann mir eine Kirche der Zukunft ohne eine wirkliche Mitverantwortung von Frauen und Männern in den Entscheidungen nicht vorstellen.

Anfangs war von einem „verbindlichen Synodalen Weg“ die Rede. Diese Verbindlichkeit war ein Streitpunkt zwischen Rom und Deutschland. Über die Umsetzung der Beschlüsse entscheidet jetzt jeder Bischof selbst. Von einem verbindlichen Weg kann man nicht mehr sprechen.

Verbindlich bedeutet, dass wir abstimmen und Beschlüsse fassen. Natürlich muss jeder Bischof entscheiden, ob und wie er diese umsetzt. Die Satzung sieht vor, dass jedem Beschluss jeweils zwei Drittel der Bischöfe zustimmen müssen. Das war für einige etwa im Zentralkomitee der deutschen Katholiken durchaus schmerzhaft. Aber die besondere Verantwortung der Bischöfe wird selbstverständlich gesehen. Wir sind katholisch! Der Synodale Weg soll nicht im Nirgendwo enden, sondern am Ende möglichst klare Ergebnisse oder Voten haben. Und wenn zwei Drittel der Bischöfe Dingen zustimmen, die bei uns in Deutschland geregelt werden können, werden diese das dann wohl auch umsetzen.

Kritiker halten den Synodalen Weg für Selbstbeschäftigung. Was sagen Sie denen?

Wir fragen uns, was wir als Kirche heute tun können, um glaubwürdig die Botschaft Christi verkünden zu können. Unsere Glaubwürdigkeit ist erheblich durch uns selber beschädigt worden und nicht durch irgendwelche bösen Feinde von außen. Wir sind selber oft ein Hindernis. Das muss man doch angehen! Deswegen ist es eine Selbstbeschäftigung im Sinne einer Selbstkritik. Und die ist der Ausgangspunkt jeder  Umkehr. Und das ist doch ein geistlicher Weg!

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