20.09.2018

Schweige und höre

Foto: lama-photography / photocase

Der Papst schweigt. Das ist die Meldung dieser Tage. Er schweigt zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. P. Dr. Cosmas Hoffmann OSB, Subprior der Abtei Königsmünster, ist dort Leiter des Gastbereiches, Kursarbeit und Begleiter für kontemplative Exerzitien. Claudia Auffenberg sprach mit ihm über das Schweigen.

P. Cosmas, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Stimmt das?

Hinter diesem Sprichwort, das sich in vielen Sprachen findet, steht die Erfahrung, dass wir oft schon nach den ersten Worten eines Gesprächspartners meinen zu wissen, was dieser sagen will, und schneller reagieren als der andere reden kann. Das geschieht vor allem in Streitgesprächen, wenn ein Wort das andere gibt, und man mehr damit beschäftigt ist, recht zu behalten, als sich darum zu bemühen, das Anliegen des anderen zu verstehen. Dieses Verhalten scheint eine lange Tradition zu haben, denn schon im Jakobusbrief (1,19) heißt es: „Jeder Mensch soll schnell bereit sein zu hören, aber zurückhaltend im Reden und nicht schnell zum Zorn bereit.“ Gerade heute, in einer Zeit, wo wir täglich von einem Schwall von Worten überschwemmt werden, wünschte ich mir oft mehr Räume des Schweigens und Hörens, um wahrzunehmen, worum es wirklich geht, um die wahren Nachrichten von den falschen unterscheiden zu können, um sich nicht voreilig eine falsche Meinung zu bilden.

Was geschieht beim Schweigen?

In seiner Regel spricht der heilige Benedikt von der Haltung der Schweigsamkeit. Dabei handelt es sich um eine Form der Zurückhaltung, die eine Hilfe zur Klärung sein kann. Zum einen im Hören nach innen, auf das eigene Herz hin, um wahrzunehmen, was mich wirklich bewegt, zum anderen als ein aufmerksames Zuhören, das den anderen verstehen will. Ein solches Schweigen ist Ausdruck der vollen Zugewandtheit, von „Ganz-Ohr-sein“. Die Schweig­samkeit entspricht auch der Grundhaltung der Mystiker Gott gegenüber. Der Mensch wendet sich ganz nach innen, um mit den Ohren des Herzens zu hören, wohin Gott ihn führen will.

Schweigen kann auch sehr negativ erlebt werden, im Sinne von Anschweigen oder Verschweigen.

Ja, so wie es ein gutes Schweigen gibt, das der Kommunikation dient und Gemeinschaft (lat. communio) stiftet, gibt es auch ein schlechtes Schweigen, ein Verweigern der Antwort, ein Ignorieren des anderen, eine Art Bestrafung oder Mobbing durch Nicht-­Sprechen. Ein solches Verhalten baut Mauern auf und verhindert ein gutes Miteinander.

Wie kann man es (von außen) unterscheiden?

Äußerlich sind das gute Schweigen und das Verschweigen schwer zu unterscheiden. Vielleicht merkt man beim Verschweigen, dass jemand herumdruckst und ausweicht. Doch es sind sehr unterschiedliche Haltungen. Schweige ich dem anderen gegenüber, um ihn zu verstehen, dann nehme ich ihn ernst und traue ihm die Verantwortung für sich zu. Beim Verschweigen liegt die Verantwortung allein bei dem, der verschweigt, weil er den anderen betrügt, oder weil er ihm die Wahrheit nicht zutraut oder nicht zumuten will.

Zu den Menschen zu reden ist ein wesentliches Merkmal unseres Gottes. Warum schweigt er manchmal?

Wenn der Psalmist vom Schweigen Gottes spricht, steht dahinter die Erfahrung, dass Gott bei aller Nähe zu denen, die ihn suchen, immer auch der ganz Andere und Ferne bleibt, über den der Mensch nicht verfügen kann. In der Erfahrung des Schweigens Gottes wird dem Menschen vor Augen geführt, dass nicht er es ist, auf dessen Wort und Anruf Gott reagiert, sondern dass Gott ist, durch dessen Wort und Anruf er, der Mensch, ins Dasein kommt und zu sich selber findet.

In der Mystik spiegelt die Rede vom Schweigen Gottes vor allem das existentielle Empfinden der Gottesferne wider. Johannes vom Kreuz spricht von der „dunklen Nacht“. Ein anderer Begriff ist die „Gottesfinsternis“. Das eindrücklichste Beispiel für diese Erfahrung ist Jesus selbst, der am Kreuz mit allen Sinnen und in tiefer Verzweiflung die Gottverlassenheit erfährt. Dies ist der äußerste Tiefpunkt der Menschwerdung Christi, in der er sich letztlich auf die Seite all jener stellt, die sich von Gott entfernt haben. Dadurch aber stellt sich Gott selbst auf die Seite der Gottesfernen – das traditionelle Bild dafür ist die Höllenfahrt Christi. So wird die Hölle, der Ort der Gottesferne schlechthin, zu einem Ort der Gegenwart Gottes und wird damit überwunden.

Das Schweigen Gottes kann schließlich auch als Ausdruck seiner Solidarität mit den Armen und Entrechteten verstanden werden, deren Schreien niemand zu kümmern scheint – ein Gedanke, der sich bereits bei den Propheten findet. Dieses (vermeintliche) Schweigen Gottes endet erst, wenn im Ruf der Armen der Anruf Gottes erkannt wird.

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