20.03.2020

Ich sehe was, was du nicht siehst …

Eine Eule, so scheint es, sieht mehr …Foto: Dominik VO / unsplash

„Ich sehe was, was du nicht siehst …“ Dieses Spiel habe ich als Kind häufig auf langen Autofahrten mit meiner Schwester gespielt. Es geht darum, einen Gegenstand oder Ähnliches zu finden, den der andere nicht so schnell sehen oder erkennen kann.

von Lukas Rebbe

In den heutigen Lesungen geht es ebenfalls ums Sehen und Nicht-Sehen. Das neunte Kapitel des Johannesevangeliums berichtet von einem Mann, der seit seiner Geburt blind ist (V. 1). Jesus heilt ihn und macht ihn wieder sehend (V. 6-7). Im griechischen Original wird an dieser Stelle das Wort (blepo) verwendet, das auch mit „anblicken“ übersetzt werden kann. Für „sehen gibt es noch ein zweites Wort im Griechischen, (horao), das in V. 37 gebraucht wird und stärker das Erkennen betont. Der Evangelist zeigt einen Unterschied zwischen „sehen mit der konnotativen Bedeutung von „anblicken und „sehen von „erkennen auf. Durch die Handlung Jesu kann der geheilte Blinde nicht nur die Welt um ihn herum sehen, was ihm bis dahin nicht möglich war, sondern er erkennt zusätzlich das Wirken Gottes durch Jesus in der Welt. In Kontrast dazu werden vom Evangelisten die Pharisäer gesetzt, die zwar sehen können, aber trotzdem blind sind, weil sie nicht erkennen, was Jesus sagen will, welche Botschaft er hat. Sie urteilen nach ihren Erfahrungen, nach denen noch nie einem Blinden die Augen geöffnet worden sind (V. 32). Jesus stellt fest, dass sie von sich aus sagen, dass sie sehen (V. 41). Allerdings ist hiermit nur das Anblicken (blepo) gemeint. Ihnen bleibt wegen ihrer Ablehnung Jesu das Erkennen (horao) verweigert.

Sehen und anblicken

Einen Unterschied zwischen „anblicken und „erkennenfinden wir auch in der alttestamentlichen Lesung. Dort wird von Samuel berichtet, der von Gott den Auftrag bekommt, einen neuen König zu salben. Diesen solle er unter den Söhnen des Isai finden. Isai zeigt ihm sieben Söhne, von denen er einen als geeignet ansieht, König zu werden. Samuel bekam jedoch den Auftrag, nicht mit menschlichen Augen auszuwählen. Folglich muss er noch Isais achten Sohn rufen lassen, David. Dieser David wird von Gott auserwählt und von Samuel gesalbt. In Vers 7 werden ebenfalls zwei verschiedene Wörter für „sehen genutzt. Für den Befehl „Sieh nicht auf das Aussehen“ nutzt der Autor das hebräische (navat). Damit ist das Sehen des Äußeren im Sinne eines bewussten Wahrnehmens gemeint. Die folgenden „Gott / der Mensch sieht“-Konstruktionen sind mit dem hebräischen Wort (ra’ah) versehen. Im Alten Testament wird dieses Wort immer verwendet, wenn das Sehen mit Gott in Verbindung steht. Damit ist gemeint, dass Gott selbst etwas sieht, oder aber auch, dass Gott angesehen/angeschaut wird.

Doppelte Bedeutung

Für uns Christen hat das „Ich sehe was, was du nicht siehst…“ folglich eine doppelte Bedeutung. Einerseits ist es unerlässlich, das Weltliche zu sehen und damit umzugehen, denn sonst ist eine menschliche Existenz nicht möglich. Aber es gibt andererseits noch etwas darüber hinaus, und das ist das Wirken Gottes in der Welt.

 

Info

Wunder/Zeichen

Zum öffentlichen Wirken Jesu gehören auch Wundererzählungen. Dass die Wunder eine Tat Gottes durch Jesus sind, wird in den Evangelien immer nur denen deutlich, die sich auf Jesus und sein Handeln einlassen. Diejenigen, die Jesus kritisch gegenüberstehen oder ihn ablehnen, sehen in den Wundern dämonische oder gotteslästerische Taten. Bei den Synoptikern Matthäus, Markus und Lukas werden die Wunder als (dynamis), Machttaten, bezeichnet. Johannes dagegen gebraucht für Wunder den Begriff (semeion), Zeichen.

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen