22.06.2016

Entscheidung – jetzt und hier!

„Lebst du schon oder erledigst du noch?“ So könnte man in Anlehnung an einen Werbeslogan das Evangelium zusammenfassen. Foto: cydonna/photocase

Christsein ist nur möglich, wenn man sich für Jesus und seinen Weg entschieden hat.

Wir stehen mitten in einer großen Erzählung: Jesus zog umher, verkündete das Evangelium, heilte Kranke und trieb Dämonen aus. Nachdem er Jünger um sich gesammelt und den Kreis der Zwölf ausgesandt hatte, macht er sich jetzt wieder auf den Weg. Er zieht aber nicht mehr landauf, landab. Sein Weg hat von nun an ein klares Ziel: Jerusalem. Dieser Weg beginnt jetzt. Was Jesus seinen Jüngern und schließlich den Zwölf bisher nur angekündigt hatte, tritt nun ein. Die Jünger verstanden ihn bisher nicht. Es blieb ihnen verborgen, was er ihnen sagen wollte. Jetzt erleben sie selbst, was er ihnen einst sagte: Ich mache mich auf den Weg nach Jerusalem. Noch einmal werden sich die Jünger gefragt haben, wer das ist, der nach Jerusalem geht. Seine Antwort lautet: der Men­schen­sohn.

Er schickt Boten voraus. Er lässt Quartiere bestellen. Er schart erneut Leute um sich. Er sammelt weiterhin Jünger, die ihm nachfolgen sollen. Wie ein großer Herr mit Gefolge scheint er nach Jerusalem zu ziehen. Doch was passiert? Menschen machen ihm die Türe nicht auf. Er hat keinen Ort, um sein Haupt zu betten. Niemand nimmt sie auf. Sie ziehen weiter. Ist das der große Herr, der kommen wird? Zweifel kommen auf. Ein Herr, vor dem die Menschen ihre Türen verschließen. Was für eine Schmach. Die Jünger spüren das und wollen die Herrschaft ihres Herrn demonstrieren: Wer Herr ist, kommt mit Schwert und Feuer. Er bricht sich Bahn. Menschen sind ihm untertan, sie erfüllen seinen Willen. Da weist Jesus sie zurecht: Es ist der Menschensohn, der kommt!

Der Evangelist Lukas schildert uns in seinem Evangelium drei Begegnungen mit Menschen, die sich Jesus anschließen wollen. Es sind drei klassische Berufungsgeschichten. Einmal will sich einer Jesus selbst anschließen. Dann wieder ruft Jesus den einen und den anderen in seine Nachfolge. Alle stellen sie Bedingungen. Lass mich erst die Toten begraben! Lass mich Abschied von meiner Familie nehmen! Jesus weist sie zurecht: Wer mir nachfolgt, braucht keine feste Bleibe. Er braucht die Toten nicht zu begraben. Er muss nicht das Feld bestellen. Ist das nicht ungeheuerlich? Natürlich müssen wir die Toten begraben, natürlich müssen wir säen und ernten, natürlich müssen wir schlafen.

Warum Jesus die Einwände zurückweist, erschließt uns Lukas erst zum Schluss: Das Reich Gottes braucht das alles nicht! Jetzt verstehen wir diese Wunder- und Berufungserzählungen, die uns Lukas präsentiert: Es geht um den Menschensohn. Lukas greift hier wie schon öfter auf diese Benennung zurück. Sie stammt aus dem Alten Testament, aus der Weissagung des Propheten Daniel (7,13f). Die theologische Botschaft, die uns Lukas vor Augen stellt, lautet: Jesus ist als der Menschensohn der Messias. Als solcher zieht er hinauf nach Jerusalem, zum Ort, an dem Gott nahe ist. Er ist dort nahe, weil der Menschensohn der Sohn Gottes ist. Jesus und Gott sind eins.

Jetzt verstehen die Jünger auch die Botschaft: In Jerusalem wird kein Fest gefeiert mit Musik, Speisen und Trank; modern ausgesprochen: hier findet kein Event statt. Nein, hier entscheidet sich das Schicksal des Menschensohns und damit das der Menschheit: Wer hier mitgeht, weiß, um was es geht. Die Stunde der Entscheidung naht. Nicht nur die Stunde der Entscheidung für den Menschensohn. Nein, unsere Stunde schlägt: Entscheide dich für Jesus, den Menschensohn. Entscheide dich, folge ihm nach. Das wusste Lukas: Das ist keine einfache Entscheidung. Deshalb diese Bilder, deshalb diese Schilderungen. Wieder verstehen wir: Das Evangelium bringt uns keine billige Botschaft, etwa in dem Sinne, es wird mal alles gut sein. Nein, wir sind gefragt, uns zu entscheiden. Folgen wir Jesus. Das ist die Frohe Botschaft: Barmherzigkeit fordert Entscheidung, unsere Entscheidung.

Wolfgang Thönissen

Professor für Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät Paderborn und Leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn

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