23.03.2020

Die junge Perspektive ist wichtig

„Werte wie Liebe und Treue sind bei jungen Menschen wichtig und zeitlos“, ist Annika Manegold überzeugt.
Foto: Andreas Wiedenhaus

Erzbistum. Über die Schwierigkeit, christliche Werte wie Vielfalt und Offenheit in den Jugendverbänden authentisch zu leben, wenn das Verständnis der Amtskirche fehlt, spricht Annika Manegold, Vorsitzende des BDKJ-Diözesanverbandes spricht . Das Forum „Leben in gelingenden Beziehungen– Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ des Synodalen Weges beschäftigt sich mit dem Thema.

von Julia Hollwedel

Frau Mangegold, wie fühlt sich Liebe 2.0 an? Liebe in Zeiten von Tinder & Co.?

Liebe ist vielfältig und alles ist möglich. In der Lebensrealität junger Menschen gibt es nicht nur die klassische heterosexuelle Liebe zwischen Mann und Frau. Es gibt auch weitere Formen: schwule, lesbische, bi, pan oder queer. Außerdem gibt es Menschen, die sich nicht in die Kategorie Mann und Frau einordnen lassen, können. Deshalb wurde ja das dritte Geschlecht divers eingeführt. Als Jugendverbände setzen wir uns für alle ein.

Sind Priester für Jugendliche überhaupt noch Ansprechpartner, wenn es um Liebe und Sexualität geht?

Es gibt viele gute Priester mit viel Einfühlungsvermögen. Das habe ich immer wieder erlebt. Aber generell sollte die Diversität von Liebe und Beziehungen auch in der Ausbildung einen viel größeren Raum einnehmen. Generell sollte Amtskirche mit den jungen Menschen sprechen, statt immer über die Zielgruppe hinweg zu formulieren.  

Wie wirkt die durch „eine starke Verbotsstruktur geprägte lehramtliche Sexualmoral“ auf junge Leute heute?

Die Frage, die sich viele junge Menschen stellen, lautet: Kann ich guten Gewissens Teil dieser Kirche sein? Dabei geht es jungen Menschen um Identifikation und Sinnstiftung. Die katholischen Jugendverbände leben auf Basis christlicher Werte Vielfalt und Offenheit, aber die Amtskirche tut sich schwer damit. Im Zweifel gehen die Jugendlichen dann und machen etwas anderes. Und das machen sie sich nicht leicht, da der Glaube und die Heimat in der Kirche sie geprägt hat. Für viele ist es aber auch zu extrem schwerwiegenden Verletzungen, Zurückweisungen und Diskriminierungen gekommen.

Sind Begriffe wie Schuld und Sühne, man denke an Wiederverheiratete, noch zeitgemäß?

Das ganze Schuldkonzept bzw. der Umgang mit Sünde ist total überholt. Die Kirche der Nächstenliebe hat durch die ganzen Missbrauchsfälle einen riesigen Vertrauensverlust erlitten. Die Strukturen und die Sexualmoral tragen sicher auch eine gewisse Mitschuld an der sexualisierten Gewalt. Wir reden nicht offen über Sexualität. Ich erlebe immer wieder eine Angst vor dem Thema. Was soll passieren, wenn wir uns dem stellen?

Gibt es überhaupt eine Sehnsucht nach einem katholischen Wertesystem? Sehen Sie einen Trend zurück zu „alten Werten“?

Werte wie Liebe und Treue sind bei jungen Menschen wichtig und zeitlos. Auch das Thema Familie spielt jenseits der klassischen Ehe eine große Rolle. Die Ehe ist einfach ein zu starres Modell, genau wie die katholische Sexualmoral. Zum Beispiel denken junge Menschen einfach über Verhütung nach. Das gehört zum Alltag. Unsere Gesellschaft verändert sich eben, passt sich an und entwickelt sich weiter. Im Gegensatz zur Kirche in diesen Fragen. Die Kirche zeigt keine Bereitschaft, die Diversität in Beziehungen und Sexualität anzuerkennen, ganz im Gegenteil– die Kirche reagiert mit Diskriminierung, obwohl christliche Werte gelebt werden. Das gilt beispielsweise nicht nur für gleichgeschlechtliche Beziehungen, sondern auch für Wiederverheiratete und Geschiedene. Die Frage ist, wie diese Diskriminierung aufgelöst werden kann. Wir erleben ja schon jetzt die Abstimmung mit den Füßen: Die Leute treten massenhaft aus der Kirche aus.

Gehört zum Leben in gelingenden Beziehungen die Erfahrung des Scheiterns dazu?

Für junge Menschen gehört es zum Alltagsleben dazu, das Beziehungen oder Ehen auch enden dürfen. Eine Beziehung wächst und dann passt es aus verschiedensten Gründen nicht mehr. Dann ist es ein mutiger Schritt, sich zu trennen. Daher ist Scheitern auch das falsche Wort, da die Beziehung zum Zeitpunkt des Zusammenkommens sich richtig anfühlte. Menschen wachsen an Beziehungen. Wenn Menschen sich dann trennen, brauchen Sie Trost, Zuspruch und Beistand statt dem Vorwurf des sündigen Verhaltens.

Der Synodale Weg hat begonnen. Wie ist die Stimmung in den katholischen Jugendverbänden? Wie groß sind die Erwartungen? Wie hoch ist die Frustrationstoleranz?

Natürlich gibt es viele ernüchternde Erfahrungen. Wir haben schon einfach zu viele Flipcharts vollgeschrieben und nichts ist passiert. Da wurde viel Zeit von Ehrenamtlichen verschwendet. Wir haben so viele Jugendliche, die Energie haben und sich einbringen wollen. Die Vorschläge und die breite Beteiligung müssen aber gewollt sein und nicht in irgendeiner Schublade verschwinden. Es kann auch nicht sein, dass sich nur das herausgepickt wird, was gefällt. Die Erwartungen an den Synodalen Weg sind deshalb dementsprechend hoch. Klar kann er nichts beschließen, aber der Synodale Weg ist eine klare Selbstverpflichtung. Mit einer ganz anderen Verbindlichkeit. Die fordern wir auch vom Erzbischof.

Was muss jetzt geschehen, damit sich jetzt etwas verändert?

Generell muss Kirche demokratischer werden. Eine Kompromissbereitschaft ist die Voraussetzung dafür. Sonst zerfällt Kirche in einzelne Lager. Es zeigt sich gerade an so vielen Stellen, dass Reformen längst überfällig sind. Natürlich können wir es nicht allen recht machen, aber schweigen ist keine Alternative. Das spielt den Konservativen nur in die Hände, aber ihr „Nein, ich will das nicht“ kann es auch nicht sein. Es ist gut, dass auch 15 junge Menschen einen Platz im Synodalen Weg gefunden haben, um die Zukunft der Kirche aktiv mitzugestalten. Die junge Perspektive ist unschätzbar wichtig.

Wie kann Kirche konkret soziale Wertschätzung liefern?

Es geht um Akzeptanz und Respekt. Nicht nur für die Ehe, sondern auch für die vielfältigen anderen Beziehungsmodelle. Kirche muss raus aus dem Duldungsmodus. Die Ehe wird einfach immer eine Stufe höhergestellt als andere Arten des Zusammenlebens. Das geht an der Lebensrealität vorbei. Früher wurde mit dem Auszug aus dem Elternhaus geheiratet. Heute gibt es Phasen des Zusammenlebens. Dem muss Rechnung getragen werden. Es muss jetzt ein deutliches Signal kommen, für neue Lebensformen junger Menschen, für gleichgeschlechtliche Paare, für queere Menschen, für Geschiedene und Wiederverheiratete und für Frauen in unserer Kirche.

Wie kann das konkret aussehen?

Zum Beispiel mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.  Oder dem Respekt gegenüber Wiederverheirateten und Geschiedenen. Warum dürfen sie sich nicht neu verlieben? Es geht einfach um die grundsätzliche Wertschätzung und den Respekt von den heutigen Lebensformen der Menschen. Kirche sollte einfach mit dem Denken in Kategorien aufhören und Veränderungsbereitschaft zeigen. Sonst verliert sie noch mehr den Anschluss, da sie ihrer Sendung nicht gerecht wird. Das Leben verändert sich heute deutlich schneller. Es geht auch darum, Themen ernst zu nehmen, statt andere Lebenswirklichkeiten pauschal abzuwerten.

Wie lässt sich die katholische Sexualethik konkret weiterentwickeln? 

Im ersten Schritt indem Kirche anders auf Menschen zugeht. Das Gefühl gewollt und von Gott geliebt zu sein ist essenziell für alle Menschen. Wertschätzung und Toleranz gehören dazu. Und endlich muss diese Angst, über Sexualität offen zu sprechen, vom Tisch. Die Diskussion wird sicher auch schmerzhaft, weil viele Verletzungen geschehen sind. Aber wir kommen nicht drumherum. Wenn wir die Angst verlieren, darüber zu sprechen, ist das vielleicht schon Teil der Lösung.

 

Info

„Leben in gelingenden Beziehungen– Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“– so lautet das Synodalforum4. Im Forum geht es um Fragen zur Sexualmoral der Kirche, die von immer mehr Gläubigen kritisch hinterfragt wird. Die Erkenntnisse aus Theologie und Humanwissenschaften sollen stärker berücksichtigt werden, damit Kirche in diesem Bereich wieder Orientierung bieten kann.

 
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