15.09.2016

Der umstrittene Superheilige

Romtouristen kennen das: Pater Pio ist in Souvenirläden allgegenwärtig. Er ist in Italien der mit Abstand populärste Heilige. Foto: dpa

Am 23. September feiert die Kirche einen der Superstars des Heiligenkalenders, der zugleich hochumstritten ist: Padre Pio. Die einen verehren ihn geradezu inbrünstig, die anderen lehnen ihn vehement ab. Die Päpste seit Benedikt XV. findet man auf beiden Seiten.

von Claudia Auffenberg

Was über ihn erzählt wird, Geschichten von Bilokation, Wohlgeruch und Wunderheilungen, irritieren vielleicht auch deshalb, weil sie irgendwie aus der Zeit gefallen klingen. Solche Geschichten von einem Menschen, von dem es doch immerhin Filmaufnahmen gibt, also ein Mann des 20. Jahrhunderts?

Geboren wurde er als Francesco Forgione im Mai 1887 in Apulien, also im Absatz des italienischen Stiefels. Seine Eltern waren Bauern und hatten schon sieben Kinder. Der kleine Francesco war ständig krank und das blieb eigentlich Zeit seines Lebens so. Anfang des 20. Jahrhunderts trat er in den Kapuzinerorden ein, da litt er bereits an Tuberkulose und wurde bald nach seiner Einberufung zum Sanitätsdienst im Ersten Weltkrieg für untauglich erklärt.

Ab 1910 waren an seinen Händen Stigmata zu sehen, was bis heute Anlass für Zweifel ist. Sind sie Zeichen seines intensiven Nachempfinden des Leidens Christi oder das Ergebnis einer Tinktur, die er sich in der Apotheke besorgt hat? Die Kirche reagierte skeptisch auf Pater Pio, viele Menschen dagegen begeistert. Er kümmerte sich um Kranke, immer mehr Pilger kamen, um bei ihm zu beichten, er wurde gar zum Apostel des Beichtstuhls, von Heilungen wurde berichtet. In den 1920er-Jahren wurde ihm die Beichterlaubnis entzogen, später das öffentliche „Lesen einer Messe“, wie man damals noch sagte. Papst Johannes XXIII. hielt ihn für eine Gefahr für die Menschen, Paul VI. erlaubte ihm 1964 die öffentliche Amtsausübung wieder. 1968 starb Pio und wurde in der Krypta seiner Klosterkirche in San Giovanni Rotondo beigesetzt.

Papst Johannes Paul II. war ihm als junger Priester begegnet und hatte offenkundig ein besonderes Verhältnis zu ihm. 1999 sprach er ihn selig, drei Jahre später heilig. Auch danach gab es immer wieder Vorwürfe gegen Pater Pio. Er habe dem Faschismus nahegestanden, heißt es, er sei ein Scharlatan, von Frauengeschichten ist die Rede und von fragwürdigen Finanzen, das ganze Programm.

Aber alle Kritik konnte bislang nichts daran ändern, dass die Italiener diesen Mann in einer Weise verehren, die den Deutschen fremd, vielleicht ein bisschen unheimlich ist. Man muss jedoch fragen: Was finden sie bei ihm, was sie andernorts nicht finden? Was fasziniert die Leute so? Ist es dieser italienische Hang zur Inbrunst, die Faszination am (vermeintlich) Übernatürlichen? Der italienische Historiker Sergio Luzzatto, einer der großen Kritiker des Paters, erklärte es vor einigen Jahren in der Süddeutschen Zeitung so: Der Fortschritt habe den Schmerz und das Leid der Menschen nicht getilgt; das entzauberte Jahrhundert habe wohl eine Art Schmerzmittel für die Übel der Welt nötig gehabt.

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