Das erste Loch im „Eisernen Vorhang“

Ungarn öffnete am 11. September die Grenze zu Österreich / Paderborner Malteser als Helfer vor Ort

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Zeitzeugen erinnern sich: Die Paderborner Malteser Wolfgang Röver, Wilfried Schild und Wolfgang Triller (v. l.) halfen 1989 in Budapest DDR-Bürgern auf dem Gelände der Deutschen Botschaft und einer katholischen Pfarrgemeinde. Foto: Wiedenhaus
veröffentlicht am 05.09.2019
Lesezeit: ungefähr 4 Minuten

Paderborn/Budapest. Schicksalsjahr 1989: Die Mauer fiel am 9. November, ein Datum – fest verankert im kollektiven Gedächtnis. Dass bis dahin schon Entscheidendes geschehen war, gerät dabei manchmal etwas in Vergessenheit. Wochen vorher, am 11. September vor 30 Jahren, sorgten nämlich die Ungarn mit der Öffnung der Grenze zu Österreich für das erste klaffende Loch im „Eisernen Vorhang“. Bei einer offiziellen Veranstaltung wird am 11. September in Berlin daran erinnert. Teilnehmen werden auch drei Malteser aus Paderborn. 1989 waren Wolfgang Röver, Wilfried Schild und Wolfgang Triller als Helfer mitten im Geschehen.

von Andreas Wiedenhaus

Budapest im August 1989: Nicht nur für DDR-Bürger ist die ungarische Hauptstadt ein beliebtes Reiseziel. Auch Malteser aus westeuropäischen Ländern wollen in diesem Sommer das Land hinter dem „Eisernen Vorhang“ ansteuern. Ziel ist ein internationales Jugendlager. Nach der Gründung der ungarischen Malteser-­Sektion soll es die erste gemeinsame Großveranstaltung werden. Doch es kommt anders.

„Wir sind auch nach Ungarn gefahren“, erinnert sich Wolfgang Röver, damals 21 Jahre alt, „allerdings nicht zum Jugendlager.“ Statt Austausch und Begegnung mit anderen jungen Menschen warten ganz andere Aufgaben. DDR-Bürger hatten auf dem Gelände der Botschaft der Bundesrepublik Zuflucht gesucht, in der Hoffnung auf die Ausreise in den Westen. Die Malteser sollten die Betreuung übernehmen.

„Nachdem die Entscheidung gefallen war, musste alles ganz schnell gehen!“ Wolfgang Triller gehörte damals zu den Organisatoren. Improvisationsvermögen war gefordert – schon vor der Abfahrt. „Einweggeschirr sollten wir mitbringen“, erinnert sich Wilfried Schild, damals im Rettungsdienst der Malteser aktiv, „und Sonnenschirme.“ Also werden Großhandel und Baumärkte angesteuert, eingekauft, was da ist und verladen werden kann. Der Konvoi ist schnell zusammengestellt.

Sechs Fahrzeuge machten sich auf den Weg. Für 24 Malteser aus dem Erzbistum, 19 Männer und 5 Frauen, begann eine Zeit, die sie nie vergessen werden.

Dass die Geschichte ein Happy End haben würde, war damals jedoch absolut nicht klar, macht Wolfgang Triller deutlich: „Als wir ankamen, herrschte große Anspannung, Zurückhaltung war oberstes Gebot!“ Untergebracht waren die DDR-Bürger auch auf dem Gelände einer katholischen Pfarrgemeinde im Diplomatenviertel. Zelte und Trabbis bestimmten das Bild.

Die Paderborner Malteser waren die ersten deutschen Helfer vor Ort, bis zum 3. September hatten sie die Leitung des Einsatzes. „Man musste bei allem, was man tat, gut aufpassen, dass man niemandem auf die Füße trat“, erinnern sich die drei Paderborner an die erste Zeit: „Der Kontakt mit Medien sollte zum Beispiel vermieden werden.“ Die Bonner Politiker wollten nicht, dass die heikle Situation durch Sensationsjournalismus außer Kontrolle geriet.

Bilder aus der Zeit zeigen Zelte, Wäscheleinen, Mittagessen unter freiem Himmel. Doch Campingplatzstimmung herrschte nicht. Stattdessen gespannte Erwartung, Hoffnungen – und Misstrauen.

„Bei aller Solidarität gab es auch Anfeindungen“, fasst Wilfried Schild die Stimmung zusammen. Dass die „Stasi“ ihre Augen und Ohren auch direkt auf dem Gelände offen hielt, war allen klar. Unabhängig davon wurde das Geschehen von einem Wohnwagen gegenüber des Haupteingangs von „Horch und Guck“ ständig observiert. „Hier und da gab es Verdächtigungen untereinander!“

Je länger die Menschen ausharren mussten, desto mehr brodelte es in der Gerüchte­küche. Wolfgang Triller: „Als ich einmal mit einem Aktenkoffer über das Gelände gegangen bin, hieß es anschließend, darin hätten sich die Pässe für die Ausreisewilligen befunden.“ Wunschdenken, das ebenso enttäuscht wurde wie mancher Fluchtversuch über die Grenze nach Österreich.

Wolfgang Röver: „Abends machten sich immer wieder Gruppen auf den Weg. Wir gaben ihnen kopierte Karten des Grenzverlaufs mit.“ Kamen sie nicht zurück, war der Traum wahr geworden. Wenn sie morgens wieder am Tor standen, hieß es „weiter warten und hoffen“.

Und das ohne wirkliche Informationen darüber, wie der Stand der Dinge war. Das galt im Übrigen auch für die Malteser: „Handys gab es ja nicht, und eine Möglichkeit, nach Deutschland zu telefonieren, bestand nur in den großen Budapester Hotels.“

Was allerdings eine Stunde Autofahrt bedeutete. „Als wir zurückfuhren, haben wir uns hinter der Grenze erst einmal mit deutschen Zeitungen eingedeckt, um zu wissen, was überhaupt los war!“

„Es ging nicht darum, einen großen Plan zu verfolgen, man musste in der Situation das Richtige tun, immer wieder aufs Neue!“, bringt Wolfgang Triller die damalige Lage auf den Punkt. Jeder machte einen „guten Job“. Woran sie letztlich wirklich mitwirkten, war den meisten wohl gar nicht richtig klar. Wolfgang Röver sieht es so: „Bewusst wurde mir das alles erst, als ich wieder zu Hause war.“ Die beiden anderen nicken.

Wie unübersichtlich die Situation damals zeitweilig war, mag auch die Tatsache verdeutlichen, dass selbst 30 Jahre danach die Beteiligten beim Gespräch untereinander noch Neues erfahren. Wenn etwa Wilfried Schild erzählt, dass während der ganzen Zeit ein Flugzeug bereitstand, um im Krisenfall den Rücktransport der Malteser zu gewährleisten.

Zum Glück kam es nicht dazu, die Geschichte ging gut aus – mit Beteiligung von Paderborner Maltesern.

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