03.01.2020

Auf der Seite der „Verlierer“

Ulrich Klauke ist Leiter des Referates Weltmission–Entwicklung–Frieden des Erzbistums Paderborn. Foto: Wiedenhaus

Paderborn. Ulrich Klauke ist Leiter des Referates Weltmission–Entwicklung–Frieden des Erzbistums Paderborn. Der Dom sprach mit ihm über das gemeinsame Jahresthema, das sich die katholischen Hilfswerke für 2020 gegeben haben: „Frieden leben“. Dabei ging es unter anderem um die Frage, welche Chancen der Friede angesichts von Waffengewalt und Hass überhaupt hat, und darum, was gerade kirchliche Organisationen in diesem Zusammenhang leisten können.

Wir haben gerade das Fest des Friedens in einer friedlosen Welt gefeiert. Vor diesem Hintergrund erscheint der Wunsch nach Frieden als unerfüllbare Utopie, oder ist das zu pessimistisch gesehen?

Was ist eine Utopie? Biblisch gesehen würde man vielleicht eher sagen, der Friede ist eine Verheißung, ist eine Vision. Das fängt schon bei Jesaja an mit solchen Bildern, dass der Säugling seine Hand in die Höhle der Natter steckt. Unsere reale Wirklichkeit dagegen, in der wir leben, ist von Konflikten geprägt. Der „große Friede“, wie ich es einmal nennen möchte, ist mit der messianischen Verheißung verbunden: Er ist uns verheißen, aber nicht greifbar und vom Menschen machbar.

Friede als von Gott gegeben also?

Sicherlich eine Verheißung, die wir ohne Gottes Hilfe nicht erreichen können. Aber auch eine Aufgabe, die uns als Menschen auferlegt ist. Wir sind herausgefordert inmitten der Konflikte immer wieder Wege des Friedens, der Annäherung, des Verstehens zu gehen.

Wenn wir jetzt auf das Jahresthema der Hilfswerke schauen: Was steckt hinter der Idee eines gemeinsamen Themas?

Der wesentliche Grund ist, dass es in den Gemeinden nicht in jeder Kampagne etwas Neues geben soll, sondern dass man sich jetzt ein Kirchenjahr Zeit nehmen kann, um in den Kampagnen von Adveniat, MISEREOR, missio, Renovabis und bei den Sternsingern konkret in diesem Jahr das Thema „Frieden“ zu beleuchten.

Um welche Aspekte geht es genau?

Die Hilfswerke stellen bei ihren Aktionen ja immer Partner vor, die für dieses Thema stehen. Adveniat hat uns vor allem mitgenommen nach Kolumbien, Peru und Bolivien. Die Sternsingeraktion des Kindermissionswerkes führt uns in den Libanon, wo es um Flüchtlingsprojekte vor allem für Kinder geht. MISEREOR widmet sich ebenfalls den Flüchtlingen, Renovabis nimmt uns zu Pfingsten in die Ukraine mit, wo der Krieg ja immer noch im Gange ist. missio stellt im Oktober den interreligiösen Dialog am Beispiel Nigerias in den Mittelpunkt. Jedes Mal werden uns Partner in den Regionen vorgestellt, die sich mit ihren Möglichkeiten für den Frieden einsetzen.

Wie kann man sich das vorstellen?

In solchen Projekten geht es um Versöhnung oder Wiederaufbau nach dem Krieg; aber auch um die Betreuung von Flüchtlingen.

Das sind auch Folgen eines Waffenexportes, der im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht hat. Welche Chancen hat das Engagement für Frieden überhaupt?

Es hat reichlich Chancen! Die vielen zivilen Friedensdienste, die es gibt, und in denen die katholische Kirche ja sehr aktiv ist, müssten von der Gesellschaft zuerst einmal stärker wahrgenommen werden. Soziale Friedensdienste im Ausland sind an vielen Stellen sehr produktiv. In Kolumbien beispielsweise ist die Versöhnung im Wesentlichen über das Friedensengagement der Kirchen gelaufen. Auch im Südsudan spielen kirchliche Akteure im Friedensdienst eine große Rolle. Das ist in meinen Augen nachhaltiger als Versuche, den Frieden mit Waffengewalt zu sichern.

Warum hört und sieht man davon nicht mehr?

Dieses Engagement hat sicherlich mehr Öffentlichkeit verdient, zum anderen benötigen die zivilen Friedensdienste aber auch mehr Unterstützung, um ihre Chancen zu nutzen. Eine Studie der Deutschen Bischofskonferenz zur Situation in Südostasien und zur Rolle der Kirchen dort hat zum Beispiel deutlich gemacht, dass Kirchen gerade in der Versöhnungsarbeit Dinge vollbringen können, die staatliche Akteure schlichtweg nicht leisten können. Kirchlichen Organisationen wird viel mehr vertraut als staatlichen– etwa, wenn es zum Beispiel um die Rechte von Minderheiten geht. Da stehen der Staat und seine Vertreter oft unter Verdacht, eigene politische Interessen zu verfolgen.

Kirchliche Organisationen sollten ihre Chancen also stärker nutzen?

Auf jeden Fall! Das haben die politischen Verantwortlichen in Deutschland mittlerweile auch erkannt: Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie im Auswärtigen Amt wird die Rolle der Religion mittlerweile anders gesehen: Früher hat man versucht, die Gelder möglichst ohne religiöse Akteure vor Ort einzusetzen. Doch mittlerweile gibt es ein deutliches Umdenken, und es wird gefragt, welche Rolle religiöse Organisationen als Akteure bei der Entwicklung des Friedens ganz konkret spielen und wo sie als Partner die erste Wahl sind.

Welche Rolle spielt für dieses Engagement die Tatsache, dass das Zusammenleben allgemein fragiler scheint, dass man sich abschottet, der Ton rauer wird?

Aktuell gibt es viele Ängste, viel Verunsicherung. In solchen Phasen sucht man nach Stabilisierung, die oft mit Abgrenzung einhergeht. Was wir dringend brauchen, ist die Begegnung mit dem anderen. Man sieht das beispielhaft in Kirchengemeinden, die Flüchtlinge integriert haben: Dort gibt es eine große Offenheit, Menschen anderer Nationalität werden dort nicht als Gefahr gesehen.

Frieden geht nicht ohne Gerechtigkeit: Fairer Handel ist ein Ansatz, doch beim Einkauf wird fast nur nach dem Preisschild geschaut! Was können Hilfswerke in diesem Bereich leisten?

Sie tun da schon eine ganze Menge, wie die Kirche allgemein auch. Doch die Schere geht immer weiter auseinander. Mit dem Ergebnis, dass Menschen sich nur als Verlierer erleben, und diese dann aus dem Gefühl heraus, dass sie nichts von dem bekommen, was ihnen zusteht, sich das mit Gewalt holen– ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Wenn Gerechtigkeit nicht da ist, und auch der Staat kein soziales Gefüge mehr aufrechterhalten kann, dann führt das schnell zu Gewalt. Es entsteht ein regelrechter Existenzkampf. Die Hilfswerke setzen sich gerade für solche Menschen am Rande ein, für die, die sonst keine Chance haben. In vielen Ländern sind kirchliche Organisationen und die Kirchen selbst mittlerweile zu Garanten von Sicherheit geworden, weil man nur ihnen noch vertraut.

Interview: Andreas Wiedenhaus

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