08.11.2018

Auf der Seite der Entrechteten?

Hektik an der Frankfurter Börse – niemand darf wirtschaftlichen oder politischen Gesetzen geopfert werden. Foto: KNA

In der Nachfolge Jesu gilt es, Partei zu ergreifen für Menschen in Armut und Ungerechtigkeit.

von Dr. Achim Funder

Da begegnen uns im Evangelium Menschen, die eine Opfergabe mitbringen. Jesus ist im Tempel und sieht zu, wie Menschen kommen und gehen, wie sie geben und was sie geben. Da sind viele Reiche, die großzügig aus dem Vollen schöpfen – die Gabe tut ihnen nicht weh. Es ist noch genug da.

Und da kommt dann auch eine Witwe. Sie ist vom Leben nicht verwöhnt. Allein zurückgeblieben, muss sie sehen, wie sie über die Runden kommt. Sie hat auch nicht viel. Aber das, was sie hat, bringt sie mit. Und mit den lumpigen Münzen sich selbst. Ihren Namen kennen wir nicht. Auch nicht, was sie gegeben hat. Das spielt auch hier keine Rolle.

Jesus macht die arme Witwe zu einem Vorbild, stellt sie he­raus, würdigt ihre kleine Gabe. Es ist die große Gabe des Evangeliums, das „Scherflein“ in ein helles Licht zu stellen. Die Witwe wird aus dem Schatten herausgeholt. Dabei weiß sie nicht einmal, wie ihr geschieht. Denn Jesus rückt die Verhältnisse vor den Jüngern zurecht. Sie werden wohl geschluckt haben. Nach mensch­licher Rechenkunst ist viel eben viel, wenig eben wenig und nichts ist nichts. Dass Jesus diese Gleichung aufhebt, der Frau ins Herz sieht und sie uns empfiehlt, bringt unsere geordnete Welt durcheinander.

Und dennoch: Ist das alles? Will Jesus nur den Opfersinn der kleinen Leute loben? Wäre es nicht besser, der armen Witwe ihre Opfergabe zu erlassen, die ihr kärgliches Leben noch elender macht? Müsste nicht umgekehrt gerade ihr aus dem Tempelschatz eine Gabe zukommen, sodass sie nicht nur materiell, sondern auch in ihrem persönlichen Selbstbewusstsein bereichert und gestärkt würde?

Die freiwillige Gabe ist pro­blemlos für den, der zu viel hat. Wendet man sie aber unvermittelt auf die an, die bettelarm sind, so dient sie nicht mehr dem Leben, dann kann sie tödlich sein.

Das harte Urteil über die Schriftgelehrten steht im Zusammenhang mit dem Urteil Jesu über den Tempel als Markthalle: Er frisst die Lebensgrundlage der Armen. Die Mitglieder des Hohen Rates verhalten sich so: Statt für die Armen zu sorgen, beuten sie sie aus; statt selber Segen zu spenden, fördern sie das Geschäft; statt ein Gebetshaus zu führen, führen sie eine Firma. Der Name Gottes aber beinhaltet Gerechtigkeit für die Armen, Befreiung aus der Sklaverei und dafür hat auch der Tempel zu stehen.

Jesus macht durch sein Handeln deutlich: Der Ort, über dem der Name Gottes ausgerufen ist, muss im Dienst der Befreiung stehen und sich für eine gerechte Welt einsetzen. Dann wird es wieder zum Haus des Gebetes, zu einem Haus, in dem die Erinnerung an die Befreiung lebendig ist. Die Lektion aber, welche die Jünger Jesu am Opferkasten lernen sollen, ist schlicht die: Niemand darf wirtschaftlichen und politischen Gesetzen geopfert werden, sondern man hat so dem Schwächsten zu dienen, dass er leben kann. Das Zusammenleben der Menschen muss so gestaltet sein, dass alle Zugang zu den Gütern haben, die satt und froh machen. Alle Menschen dieser Erde sollen um den einen Tisch von Gottes Schöpfung versammelt werden. Wer die Opfer heutiger Verhältnisse übersieht oder verleugnet, verrät den gekreuzigten Messias und den Gott Israels.

Woran orientiert sich unsere Kirche heute: Ist sie Tempel oder Markthalle? Wie geht sie um mit dem Geld aus dem Opferkasten „Kirchensteuer“, der geradezu überquillt? Ist das stete Rasseln des Klingelbeutels für alle möglichen Zwecke in den Gottesdiensten nicht einmal zu überdenken und vielleicht neu auszurichten? Geht das Geld an Strategien der Selbstbehauptung, an teure und kurzatmige Projekte, an Selbstdarstellung auf Hochglanzpapier? Wie dies auch immer zu beurteilen sein mag, sicher ist: Eine Kirche, die nicht die Opfer des Unrechts und der Gewalt kennt und benennt, entfernt sich vom gekreuzigten Herrn.

Und sie hätte allen Grund, sich einmal kritisch mit den großen anonymen Systemen auseinanderzusetzen, die uns beherrschen, die heute überall auf der Welt Menschen in ihren Lebenschancen beeinträchtigen, ihnen notwendige Hilfen verweigern. Hierauf gilt es, das Augenmerk zu lenken, um im Namen unseres Gottes Wege zu suchen und zu gehen, die dem Leben dienen.

Zum Atuor:

Pfarrer Dr. Achim Funder ist Leiter der Pastoralverbünde Mede­bach und Hallenberg.

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