25.05.2020

Am Frieden mitarbeiten

Natalia Mezentseva hat im Frauenhaus von „Neues Leben“ wieder Halt gefunden.Fotos: Renovabis/Markus Nowak

Die Ukraine ist eines von 29 Renovabis-Partnerländern im ehemaligen kommunistischen Machtbereich. Das Land leidet auch heute noch an den Folgen gewaltbelasteter Vergangenheit und wirtschaftlicher Fehlentwicklungen. Sie wirken sich negativ auf das friedliche politische, gesellschaftliche und kirchliche Miteinander aus, wobei der Krieg im Osten des Landes vieles derzeit noch verschlimmert.

von Markus Nowak

In einer Ecke rattern die Nähmaschinen, in der anderen zischt der Dampf der Bügeleisen, als Natalia Mezentseva die Tür zur Schneiderei öffnet. Acht Arbeitsplätze für Näherinnen stehen hier bereit. Die 52-Jährige durchquert den Raum und öffnet auf der anderen Seite eine weitere Tür. Hier liegt ein Duft nach Suppe und Kartoffeln in der Luft. Natalia Mezentseva kommt an den Tisch, um den sich ein halbes Dutzend Männer gesetzt haben, und sagt „pryjemnoho apetytu“. Das ist Ukrainisch für „Guten Appetit“. Und sie wiederholt es auf Russisch: „prijatnogo appetita“. Sie wechselt kurz ein paar Worte mit den Männern, dann steigt sie in ihr Auto. Auf einer zweispurigen Straße fährt sie mitten durch Nikopol.

Die Stadt liegt im Süden der Ukraine, am Kachowkaer Stausee, der vom Dnepr gespeist wird. Zu Sowjetzeiten lebten hier bis zu 200000 Menschen, die Stadt florierte durch ihr Manganvorkommen. Heute sind es offiziellen Statistiken zufolge 120000 Einwohner. Natalia Mezentseva sagt, es seien gar weniger als 90000. Das Auto rumpelt, die Straße hat viele Schlaglöcher. Es geht in den Norden, in den Stadtteil Severny. Unterwegs erzählt die 52-Jährige ihre Geschichte– keine einfache. Fast 20 Jahre lang war sie alkohol- und drogenabhängig. „Ich war fast vollständig zerstört“, sagt sie. Ihr Mann starb an Tuberkulose, der damals noch kleine Sohn wurde ihr vom ukrainischen Jugendamt weggenommen, sie selbst landete im Gefängnis. Die Drogen machten sie krank, ihr linker Arm wurde amputiert.

Suppenküche

Aus dem Glauben heraus kriegte sie die Kurve, wie sie sagt. Sie engagierte sich in Sozialprojekten, um anderen Abhängigen aus ihrer Krankheit zu helfen. Vor knapp zehn Jahren gründete sie mit Freunden und Kollegen „Nove zhyttja“– „Neues Leben“: Eine kleine Sozialorganisation in einer alten Baracke auf dem Bahnhofsgelände. Hier gibt es die Schneiderei, in der sich arbeitslose Frauen zur Näherin um- oder weiterbilden lassen können. In die Suppenküche kommen täglich vor allem obdachlose Männer. In einem Spiel- und Klassenzimmer bieten Ehrenamtliche Kurse für Kinder aus sozial schwachen Familien an.

In einem Wohngebiet am Rande von Nikopol kommt das Auto zu stehen, Natalia zeigt ein weiteres Projekt von „Neues Leben“: ein einfacher, mit grünen Latten bedeckter Bungalow, in den drei Räumen reihen sich die Betten aneinander. Hier wohnen bis zu acht Mütter mit ihren Kindern. „Gekauft haben wir das Haus 2012, seitdem bietet es für Frauen in Krisensituationen einen Schutzraum“, erzählt Natalia Mezentseva. Ein Frauenhaus würde man in Deutschland sagen. Bewohnt wird es zurzeit von fünf Müttern, darunter Tatyana Yorzh. Sie ist seit 2015 hier. „Ich war damals im achten Monat schwanger, mein Freund kam ins Gefängnis und unser Haus ist niedergebrannt. Natascha hat mich dann aufgenommen“, sagt die heute 35-Jährige unter Tränen.

Weg aus der Abhängigkeit

Hier im Frauenhaus von „Neues Leben“ hat sie ihren Sohn Pasha zur Welt gebracht, hier fand sie einen Weg aus der Abhängigkeit, hier begann sie, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, sagt die junge Mutter. „Man glaubte an mich.“ Chancen ermöglichen– darin sieht Natalia Mezentseva die Aufgabe der kleinen Sozialeinrichtung „Neues Leben“. In der Ukraine herrsche zwar im Osten ein bewaffneter Konflikt, aber hier im Zentrum des Landes gehe es darum, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Daher nahm sie auch an einem Projekt teil, das vom katholischen Hilfswerk Renovabis unterstützt wird. Das Projekt heißt „Dialog in Aktion“ und versucht, die zivilgesellschaftlichen Strukturen zu stärken. „Das ist die beste Vorbereitung für den Frieden“, ist sich Natalia Mezentseva sicher. 

 

Die ganze Reportage gibt es im Dom 22 zu lesen.

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Info

Renovabis-Pfingstaktion

„Selig, die Frieden stiften“– Ost und West in gemeinsamer Verantwortung– das Leitwort der Renovabis-Pfingstaktion zitiert 2020 die Bergpredigt (Mt 5,9): „Selig, die Frieden stiften– Ost und West in gemeinsamer Verantwortung“. Erstmals hat Renovabis einen Länderschwerpunkt für seine Pfingstaktion gewählt: die Ukraine. Die Situation im Osten des Landes zeigt, wie zerbrechlich der Friede in Europa ist: „Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges müssen wir immer wieder neu darum ringen“, so Pfarrer Dr.Christian Hartl, Hauptgeschäftsführer von Renovabis.

Die Kollekte für Renovabis findet am Pfingstsonntag, 31. Mai, statt. Eine Spende ist natürlich auch über die Bank möglich:

Renovabis e.V.

Bank für Kirche und Caritas eG

DE94472603070000009400; GENODEM1BKC

www.renovabis.de/pfingstspende

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