Damit das Dorf lebendig bleibt – Bernhard Eder im Interview

Die Landvolkshochschule Hardehausen hat ein Projekt zu erfolgreicher Dorfentwicklung ­abgeschlossen. Im Interview erklärt Dozent Bernhard Eder, worauf es ankommt, damit ein Dorf ­lebendig bleibt und worauf man achten sollte, damit alle Interessengruppen berücksichtigt werden.

Leben im Dorf: Die Motive, „aufs Land“ zu ziehen, können ganz unterschiedlich sein. Für die einen zählt die Gemeinschaft, für andere ist das ­ruhige Wohnumfeld ein wichtiger Grund. (Foto: Pixabay)
Leben im Dorf: Die Motive, „aufs Land“ zu ziehen, können ganz unterschiedlich sein. Für die einen zählt die Gemeinschaft, für andere ist das ­ruhige Wohnumfeld ein wichtiger Grund. (Foto: Pixabay)
veröffentlicht am 08.11.2023
Lesezeit: ungefähr 7 Minuten

Die Landvolkshochschule Hardehausen hat ein Projekt zu erfolgreicher Dorfentwicklung ­abgeschlossen. Im Interview erklärt Dozent Bernhard Eder, worauf es ankommt, damit ein Dorf ­lebendig bleibt und worauf man achten sollte, damit alle Interessengruppen berücksichtigt werden.

Herr Eder, ein Standbein des Projektes war das Dorf­coaching: Was genau ist das und was soll dabei herauskommen?

Bernhard Eder: „Aktive Menschen aus Dörfern kommen auf uns zu mit einer Frage oder einem Problem, für das sie nach einer Lösung suchen. Es kann aber auch sein, dass es bereits ein konkretes Ziel gibt, das verfolgt werden soll. Meine Rolle ist die eines Beraters oder Moderators. Das ­Coaching an sich findet oft analog vor Ort statt, es kann aber auch digital stattfinden.“

Wie können solche Ziele oder Probleme aussehen?

Bernhard Eder: „In einem Dorf kam eine Ortsvorsteherin auf mich zu, weil die ortsansässigen Vereine einen Bürgerverein gründen wollten; also eine Art Dachverband, einen Bürgerverein. Er sollte die Aufgabe haben, die zentralen Initiativen und Aktivitäten im Dorf als Veranstalter zu managen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang ging es darum, die Satzung für diesen Bürgerverein zu entwerfen. Ich habe dann einen Entwurf erstellt, der den spezifischen Bedürfnissen vor Ort angepasst und dann nach einer intensiven Diskussion angenommen wurde.“

Diese Bedürfnisse können je nach Ort unterschiedlich sein. Was zeichnet eine lebendige Dorfgemeinschaft grundsätzlich aus?

Bernhard Eder: „Da ist in erster Linie das Vereinsleben zu nennen, das für eine funktionierende Dorfgemeinschaft unverzichtbar ist. Feste und gemeinsame Veranstaltungen haben ebenso eine zentrale Rolle für die Identität des Dorfes. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass alle Altersgruppen ihren Platz haben und zum Zuge kommen. Es wird aber zunehmend wichtiger, auch vereinsübergreifende Angebote zu realisieren.“

Wie kann so etwas aussehen?

Bernhard Eder: „Ein Beispiel ist ein offener Treff, der regelmäßig in einem Pfarrheim stattfindet. So etwas muss nicht sonderlich spektakulär sein: Gesellschaftsspiele, Klönen, ab und zu mal etwas ­Krea­tives. Musik kann ebenfalls eine Rolle spielen, Oldies ­gemeinsam singen. Wichtig ist, dass man nicht Vereinsmitglied sein muss, um daran teilzunehmen. Oder ein Spielenachmittag für Jung und Alt, Gesellschaftsspiele für alle Generationen. Auch hier kommt es darauf an, möglichst Menschen vom Kindes- bis zum Seniorenalter anzusprechen.“

Das passiert ehrenamtlich. Wie findet man neue Ehrenamtliche? Das ist ja nicht mehr so einfach.

Bernhard Eder: „Grundsätzlich gilt, dass es ohne Ehrenamt kein aktives Dorf­leben gibt. Das kann ich jedenfalls für den Kreis Höxter sagen, in dem ich als Coach unterwegs bin. Ich vermute aber, dass das auch auf andere Kreise übertragbar ist. Dass es schwieriger geworden ist, liegt auch am langen Schatten der Corona-­Pandemie. Einiges an Initiativen, die vor Corona gestartet waren, sind nach der Zwangspause nicht wieder aktiv geworden. Es gibt aber auch viele Gegenbeispiele, dass Menschen mehr Verantwortung übernehmen. Etwa bei dem Bürgerverein, den ich eben beschrieben habe: Es gab verschiedene Ideen, wer hier aktiv werden sollte in den verantwortlichen Rollen des neuen Vereins – von Menschen, die in Vereinen aktuell eher in der zweiten Reihe stehen bis hin zu denjenigen, die kurz vor dem Ruhestand sind und eine neue Aufgabe suchen. Zielführend war das allerdings nicht. Motivierend war dann die Rede eines Aktiven, der deutlich machte, dass diese gute Idee nur dann realisiert werden könne, wenn diejenigen, die sich schon engagieren, in diesem Fall noch einmal mehr Verantwortung übernehmen: „Der Bürgerverein ist unser Kind, wir müssen es machen!“ Das hat dann auch funktioniert.“

Ein Kompromiss?

Bernhard Eder: „In der Startphase war das die beste Lösung. Die Alternative, das jemand aufs Auge zu drücken nach dem Motto „Mach mal“, hätte kaum funktioniert. So haben die Vereine einen neuen Verein, den Bürgerverein, gegründet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich anschließend jemand mit der Frage meldete, ob er als Zugezogener dort Verantwortung übernehmen könne. Allerdings war er schon vor zehn Jahren neu ins Dorf gezogen.“

Bernhard Eder ist Diplom-­Theologe und Soziologe. Er arbeitet als hauptamtlicher Dozent an der Katholischen Landvolkshochschule Hardehausen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Dorf­entwicklung, Seniorenarbeit und freiwilliges Engagement. (Foto: Privat)

Das Verhältnis zwischen Zugezogenen und Eingesessenen – wie sieht das heute aus? Was sollte man tun, damit Neubürgerinnen und Neubürger nicht zehn Jahre warten?

Bernhard Eder: „Wichtig ist, sie gezielt anzusprechen und einzuladen. Auf der anderen Seite muss man aber auch akzeptieren, wenn jemand keinem Verein beitritt und auch an keinen klassischen Dorfaktivitäten teilnimmt. Es gibt da einen Wandel. Früher waren Dorf- und Vereinsleben quasi identisch. Heute herrscht mehr Pluralität: Es gibt Zugezogene, die die Wohnsituation, die Natur und Landschaft oder andere Dinge schätzen, aber sich sonst nicht einbringen. Oder die sich Engagement vorstellen können, aber nicht in einem Verein. Ein Schützenverein ist ihnen vielleicht kulturell fremd, Sport oder Musik gehören nicht zu ihren Freizeitaktivitäten. Und wenn die Kirche auch nicht dazugehört – was bleibt dann noch? Und trotzdem will jemand vielleicht irgendwo mitmachen – und das kann dann so ein offener Treff sein. Was man aber nie vergessen darf: Jedes Dorf ist anders. Wenn man als Außenstehender neu dazukommt, lohnt es sich, genau zu beobachten und zu schauen, was passiert.“

Sie haben positive Beispiele angeführt. Was sollte man auf der anderen Seite vermeiden, wenn man die Dorf­entwicklung voran­bringen will?

Bernhard Eder: „Es gibt fünf Dinge, die in meinen Augen ein Projekt von vornherein zum Scheitern verurteilen: Wenn keiner für eine Sache brennt, wird es nichts! Oder die Bedenken nehmen sofort Überhand, etwa mit Blick auf Versicherungsschutz oder ähnliches. Genauso schwierig wird es, wenn es die Idee eines einzelnen Menschen ist und sich keine Projektgruppe findet. Die sollte außerdem möglichst divers aufgestellt sein – Männer und Frauen, Berufstätige und Ruheständler, Junge und Alte, Zugezogene und Alteingesessene. Unterschiedliche Sichtweisen sind erfolgversprechend. Es ist aber auch schwierig, ein neues Projekt zu starten, wenn es keinen Rückhalt in der Dorfgemeinschaft gibt. Das heißt, wenn sich die Projektgruppe als geschlossene Gesellschaft präsentiert und sich nicht in die Karten gucken lässt. Neue Ideen sollten im Ortsausschuss oder anderen Gremien kommuniziert werden. Ein letzter Punkt dreht sich um Finanzen: Falls man nur auf Fördertöpfe und -möglichkeiten guckt und meint, dass man von diesem Kuchen unbedingt etwas abbekommen muss für sein Dorf. Mein Rat ist: Kommt mit einer guten Idee, dann gucken wir auf das Geld.“

Traditionen und überkommene Rollenbilder sind immer noch gegenwärtig. Wie kann man das überwinden?

Bernhard Eder: „Häufig tragen immer noch Männer in den Dörfern die Verantwortung und weniger Frauen. Dadurch wird auf wichtige Sichtweisen, Kompetenzen und Lebenserfahrungen verzichtet. Das ist nicht leicht zu lösen. Doch wenn man ein Dorf für die Zukunft fit machen will, muss man sich für andere Lebensweisen und -modelle öffnen und diese akzeptieren. Es gibt einen schönen Satz, der die ­Problematik auf den Punkt bringt: „Wirst du so wie wir, dann kannst du bleiben, wie du bist!“ Davon sollte man sich verabschieden.“

Wie geht es für die Katholische Landvolkshochschule Hardehausen in diesem Bereich weiter?

Bernhard Eder: „Alle Projekte in Sachen Dorf­entwicklung haben für uns auch vor dem Hintergrund der Landpastoral einen großen Stellenwert. Nach unserem Leitbild ermutigen wir Menschen, das Leben auf dem Land aktiv mitzugestalten. Hinzu kommt, dass wir die Idee, dass Menschen zu uns kommen, dadurch ergänzen, indem wir zu ihnen in die Dörfer kommen und sie direkt in ihrem Umfeld kennenlernen. Denn jedes Dorf ist auch ein Mikrokosmos mit seiner ganz eigenen Struktur. Den lernt man am besten vor Ort kennen.“

Mit Bernhard Eder sprach Andreas Wiedenhaus

Info

Das Projekt „Land – leben – lernen, Dorfakademie – Dorfmoderation – Dorfcoaching als Instrumente erfolgreicher Dorfentwicklung“ mit einer Laufzeit vom Juni 2021 bis Juni 2023 bestand aus zwei Teilprojekten: Zum einen waren Seminare in der Landvolkshochschule Hardehausen geplant (Dorfakademie); zum anderen sollten in den Ortschaften im Kreis Höxter Dorfmoderation und Dorfcoaching durchgeführt werden. Insgesamt 13 Seminare fanden statt. Thematischer Schwerpunkt war Fundraising: Fördermittel einwerben für Projekte der Vereine und der Dorfentwicklung.

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