Krisen meistern – Werte oder Wert

Wenn nur noch die Börse den Wert bestimmt, läuft in der Wirtschaft etwas falsch, sagen die Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie. (Foto: Pixabay)

In dieser Folge unserer Serie „Krisen meistern“ geht es um wirtschaftliche Zusammenhänge und die Frage, was alternative Modelle in diesem Zusammenhang zu bieten haben. Beim Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie dreht sich nicht alles um die materielle Gewinn-Maximierung.

Seltsam: Unser jetziges Wirtschaftssystem steht auf dem Kopf. Der Wert eines Unternehmens bemisst sich nach seinem Börsenwert, Aktienmärkte reagieren in Sekundenbruchteilen auf Bilanzzahlen. Gewinnstreben und Konkurrenz sind die Treiber, antisoziales Verhalten wie die Vermeidung von Steuerzahlungen und Sozialabgaben wird belohnt. Was eigentlich nur ein Mittel zum Zweck sein sollte, die Vermehrung von Geldkapital, ist selbst zum absoluten Ziel geworden.

Aber: „Diese Wirtschaft tötet“, klagt Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ an. Und sie heizt den Klimawandel, die allgegenwärtige Bedrohung menschlichen Lebens auf unserem Planeten Erde, bis zur Unumkehrbarkeit stetig an.

Warum akzeptieren wir, dass in der Wirtschaft völlig andere Werte gelten?

Warum akzeptieren wir, dass in der Wirtschaft völlig andere Werte gelten, als wir sie uns für unsere persönlichen Beziehungen wünschen? „In unseren Freundschafts- und Alltagsbeziehungen geht es uns gut, wenn wir menschliche Werte leben: Vertrauensbildung, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Respekt, Zuhören, Empathie, Kooperation, gegenseitige Hilfe und Teilen. Die freie Marktwirtschaft … befördert Egoismus, Gier, Geiz, Neid, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit“, meint der österreichische Aktivist Christian Felber.

Was wäre eigentlich, wenn das Ziel allen Wirtschaftens statt der Vermehrung des Kapitals und des Börsenwertes ein gutes Leben für alle wäre? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), ein alternatives Wirtschaftsmodell, das 2010 in Österreich von einer Gruppe Menschen um Christian Felber entwickelt wurde und seitdem rasant weltweit weiterentwickelt wird.

Als Alternative zum gegenwärtigen Wirtschaftsverständnis baut die GWÖ auf den Werten Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung auf. GWÖ-orientierte Unternehmen erstellen deshalb neben ihrem Jahresabschluss und der Bilanz einen umfangreichen Gemeinwohl-Bericht. Dieser kann zusammen mit einem externen Testat als Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht werden. Das tun übrigens schon jetzt eine ganze Reihe von großen und kleinen Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, aber auch Kommunen oder Unis.

Änderung der Bewertung

Ein solches Vorgehen führt zu einer Änderung der Bewertung: Mag ein Unternehmen finanziell noch so wertvoll sein, wenn in die Bewertung auf einmal Faktoren wie beispielsweise Menschenwürde in der Zulieferkette, Ausgestaltung der Arbeitsverträge, Reduktion ökologischer Auswirkungen sowie innerbetriebliche Mitentscheidung und Transparenz Einzug halten, wird schnell klar, dass gerade bei den derzeit finanziell wertvollsten Unternehmen der Welt noch reichlich Luft nach oben ist. Insgesamt gibt es in der GWÖ-Matrix, die Grundlage für die Bilanz ist, 20 Bereiche, über die die bilanzierenden Unternehmen Auskunft geben.

Viele Überlegungen der GWÖ-Bewegung korrespondieren mit den Prinzipien der katholischen Soziallehre: Personalität, Subsidiaritätsprinzip, Solidaritätsprinzip und Gemeinwohlprinzip.

In der GWÖ-Bewegung engagieren sich weltweit viele Menschen, die sich eine andere Wirtschaft wünschen, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, wie es übrigens in vielen Verfassungen steht: „Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ (Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 151). Sie fühlen sich wie Mitspielende bei Monopoly, wenn am Ende der Gewinnende nicht aufhören will weiterzuspielen, während alle anderen erleben, dass, egal was sie tun, sie keine Chance mehr haben, den Abstieg noch abzuwenden.

Hans-Werner Hüwe

Der Autor

Hans-Werner Hüwel ist Gründungsmitglied der GWÖ-Regionalgruppe Paderborn. Er arbeitet beim Caritasverband Paderborn, der 2022 eine Gemeinwohl­Bilanz veröffentlicht hat-

E.Mail: hans-werner.huewel@ecogood.org

Viele Menschen wollen für werteorientierte Unternehmen arbeiten

Viele Menschen möchten gern bei Unternehmen arbeiten, in denen es nicht ausschließlich um den Profit geht, sondern um sinnvolle Produkte und Dienstleistungen, deren ökologische Auswirkungen durch Nutzung und Entsorgung geringer sind als bestehende Alternativen; um gute, familienfreundliche Arbeitsbedingungen; um ein auskömmliches Einkommen; um Kooperation, Zusammenarbeit und Transparenz. Deshalb kann die Erstellung eines GWÖ-Berichts und/oder der GWÖ-Bilanz eine Maßnahme der Mitarbeitendengewinnung und -bindung sein, besonders für werteorientierte Unternehmen.

Die GWÖ-Bewegung organisiert sich in Regionalgruppen, Unternehmen, die sich mit der GWÖ-Bilanz zertifizieren, Kreisen von Akteurinnen und Akteuren (zum Beispiel Glaubensgemeinschaften) sowie Sprecherinnen/Sprechern und Botschafterinnen/Botschaftern. Nähere Informationen, z. B. eine Übersicht aller GWÖ-zertifizierten Unternehmen, sind hier zu finden: https://germany.­ecogood.org/

Im Zusammenhang mit dem GreenDeal der EU werden zukünftig viele Unternehmen in Deutschland verpflichtet sein, eine Nachhaltigkeitsberichterstattung („Corporate Sustainability Reporting“-Richtlinie (CSRD)) vorzunehmen. Eine GWÖ-Bilanz ist eine gute Grundlage für diese neuen gesetzlichen Verpflichtungen.

Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe rein. Dort finden Sie eine Vielzahl an Berichten zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn, deutschlandweit und auch weltweit. Es lohnt sich bestimmt.

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