Marie ist eine echte Kämpferin

Werkstätten für behinderte Menschen sind manchen Kritikern ein Dorn im Auge. Dabei ­übersehen diese jedoch meist das Ausmaß an Unterstützung und Förderung, das von den Fachleuten dort ­geleistet wird, auch für Menschen mit schwersten Einschränkungen – wie für Marie in Attendorn.

Attendorn. Marie schaut freundlich und offen in die Runde, sie versteht und hört zu, ihr Blick scheint zu verraten, was sie denkt. Ihre Gedanken selbst artikulieren kann sie nur noch schlecht. Sie ist an Muskeldystrophie erkrankt, eine Krankheit, die fortschreitet. Daher lässt sie ihre Mutter als ihre Bezugsperson Nummer eins sprechen. Die ist deshalb zu Besuch gekommen, zu Besuch im Förderbereich der Werthmann Werkstätten der Caritas in Attendorn. Sie möchte erzählen – vom Leben mit einer schwerstbehinderten Tochter, aber auch von der Unterstützung, Betreuung und Förderung, die sie in der Werkstatt erfahren hat.

Marie und ihre Mutter sind angekommen, berichtet sie. Beide leben seit vier Jahren im Kreis Olpe. Während die Mutter in Olpe ihrer Berufstätigkeit nachgeht, wird Marie jeden Morgen vom Fahrdienst zu ihrer Wirkungsstätte gebracht und nachmittags wieder nach Hause begleitet. Ulf, ihr Fahrer vom Fahrdienst Busch, ist inzwischen zur festen Bezugsperson geworden. „Wenn er morgens Marie abholt, freut sie sich“, berichtet die Mutter. Sie erlebe ihren Alltag als abwechslungsreich, mit gezielter Förderung, verschiedenen Arbeitsaufträgen sowie vielfältigen Beschäftigungsaktivitäten.

Werkstätten für Menschen mit Behinderung - Marie ist trotz ihrer Erkrankung ein fröhlicher Mensch

Ein richtiger Sonnenschein

Inzwischen ist Marie 22 Jahre alt. So hoch sei ihre Lebenserwartung anfangs nicht geschätzt worden, sagt die Mutter. Marie leidet an unheilbarer Muskeldystrophie, einer Erkrankung, die von fortschreitender Muskelschwäche und Muskelschwund gekennzeichnet ist. Im Alter von sieben Jahren wurden erste Anzeichen ihres Leidens deutlich erkennbar. Seither schreitet die Krankheit unerbittlich fort und schränkt sie zusehends ein. Doch aufgeben ist für Marie keine Option, sie ist eine Kämpferin und Optimistin. Regelmäßig verrichtet sie im Förderbereich der Werkstatt entsprechend ihren Fähigkeiten kleinere Arbeiten für externe Firmen – sei es Fliegenklatschen oder Dämmschalen bekleben oder Schrauben sortieren. Getreu dem Werkstatt-­Motto: Arbeit möglich machen. Aktiv, neugierig und begeisterungsfähig sei sie schon immer gewesen, habe „Ohren wie Rhabarberblätter“, scherzt ihre Mutter. „Marie ist immer mittendrin, ihr entgeht nichts“, bestätigt auch ihre Gruppenleiterin Sarah Müller-­Bartnik. „Ein richtiger Sonnenschein, der die Gruppe bereichert.“ Doch der Weg hierhin war ein steiniger, berichtet Maries Mutter.

In Berlin-­Brandenburg aufgewachsen, stieß die Familie dort 2017 an die Grenzen des Systems. Pflege, Förderung und entsprechende Bildung schienen nicht vereinbar zu sein. Ein inkludiertes, wohnortnahes und barrierefreies Angebot für schwer behinderte Menschen nach dem regulären Schulabschluss – Fehlanzeige.“„Marie wurde quasi ausgemustert“, erzählt ihre Mutter und ist noch heute entsetzt. „Die Nichtachtung von Mensch und Behinderung wurde untragbar.“ Durch mehrere familienentlastende Aufenthalte im Kinderhospiz Balthasar in Olpe wurde die Familie dann auf die Werthmann-­Werkstätten der Caritas Olpe aufmerksam.

Quasi ausgemustert

„Ein Glücksfall“, wie sie beteuert, denn: „Hier stimmte sofort die Chemie, Maries Stärken und Fähigkeiten wurden von Beginn an in den Blick genommen.“ Und so wurde der „b.­Punkt“, der Berufsbildungsbereich der Werthmann-­Werkstätten, ab 2018 Maries neue „berufliche und tagesstrukturierende Heimat“, erklärt sie. Ein gelungener Neuanfang für Mutter und Tochter. „Wir haben diesen Schritt nicht bereut. Die Unterstützung, Förderung und Menschlichkeit, die wir hier erfahren, ist ein extremer Zugewinn an Lebensqualität“, sagt die Mutter und schaut dabei dankbar zu ihrer Tochter, die ­gerade im Rolli das Außengelände erkundet. In unterschiedliche Bereiche der Werkstatt hat ­Marie reingeschnuppert und ihren ganz persönlichen Weg eingeschlagen – immer unter Berücksichtigung ihrer fortschreitenden Einschränkungen. Von ihrer Krankheit unterkriegen lässt sie sich nicht. „Sie macht, was eben geht“, berichtet Gruppenleiterin Sarah Müller-­Bartnik. Im Förderbereich wird Arbeit möglich gemacht, ergänzt um tagesstrukturierende Angebote. „Unter Beachtung ihres individuellen Entwicklungsstandes werden unsere Beschäftigten an die berufliche Lebenswelt herangeführt“, sagt Melanie Schiffer, Abteilungsleitung der Werthmann-­Werkstatt in Attendorn. „Die Aufträge sind ganz unterschiedlicher Natur. Die hier ausgeübten Tätigkeiten helfen den Menschen, ihre ­Kompetenzen zu verbessern – etwa bei Grob- und Feinmotorik, bei Konzentration und Ausdauer.“

Förderung – für alle

Ein stabiles Bezugspersonensystem sichert zudem die individuelle Betreuung und Unterstützungsleistungen, die bei Marie auch logopädische Einheiten umfassen. Da sind zum einen die Mitarbeitenden im Förderbereich, die Marie ebenso ans Herz gewachsen sind wie ihre beste Freundin Anne. Beim gemeinsamen Backen, den Spazierfahrten im Außengelände, beim „Chillen“ im Sitzsack bei einer Märchenstunde oder bei lauter Partymusik fühlt Marie sich sichtlich wohl. Ihr Strahlen hält auch an, als Ulf am Nachmittag vorfährt und die Heimfahrt nach Olpe ansteht. Bildung, Teilhabe und Förderung sind möglich, ist die Erfahrung von Marie und ihrer Mutter. Für alle.

Janine Clemens

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