Geistliches Zentrum Kohlhagen – Zuallererst geht es um die Menschen

Die Pfarr- und Wallfahrtskirche auf dem Kohlhagen wurde vor rund 300 Jahren gebaut und beherbergt das Gnadenbild, eine Pieta aus dem 15. Jahrhundert. (Foto: Jonas)

Es soll ein Kristallisationskern sein, bei dem Begegnung möglich wird: Das Geistliche Zentrum Kohlhagen ist seit 18 Monaten der neue Wirkungsort der Pallottinerpatres Siegfried Modenbach und Jürgen Heite. Im Interview ziehen sie eine Zwischenbilanz ihres Wirkens.

Sie waren beide vorher in Dortmund im Katholischen Forum aktiv und nun in der „Einsamkeit“ auf dem Kohlhagen. Ist das nicht ein krasser Wechsel? Wie gefällt es Ihnen hier?

Heite: „Einsamkeit in den Bergen des Sauerlandes: Das ist auch meistens eine Realität in den Köpfen der Fragenden (lacht). Ja und nein, dadurch, dass Gruppen und Pilgernde zu uns kommen, ist es gar nicht so einsam. Im Gegenteil, hier ist meistens was los. Es ergeben sich immer Gespräche, manchmal mehr als in einer Großstadt, wo man oft auch aneinander vorbei lebt.“

Modenbach: „Wer hierher kommt, hat ja ein Ziel, weil er zur Gottesmutter will und weil er zu uns kommt. Aber es ist natürlich ein Unterschied zu Dortmund. Dort waren wir mitten im Zentrum, es war ständig was los. Aber nach 18 Monaten kann ich sagen, dass ich gern hier bin und hier auch die Natur und den wunderschönen Ort genieße.“

Der Wallfahrtsort Kohlhagen hat ja eine 500-­jährige Tradition. Die heutige Kirche ist auch schon 300 Jahre alt. Macht diese lange Tradition ehrfürchtig?

Heite: „In der katholischen Kirche hat man ja immer mit 2.000 Jahren Tradition zu tun. Insofern ist das jetzt nichts so völlig Außergewöhnliches. Was mich mehr berührt, ist zu sehen, wie viele Menschen sich hierher auf den Weg machen, um die Kirche zu besuchen. Vielleicht, weil sie eine Sorge drückt oder weil sie danken wollen. Diese Momente des Verweilens, die wir hier täglich beobachten, sind gar nicht so wenige. Wenn ich in die Kirche gehe und sehe, da brennen Kerzen, dann weiß ich, da ist schon jemand, der dort gebetet hat. Das berührt mich und macht mich ehrfürchtig.“

Modenbach: „Es ist schon etwas Besonderes, an einem so traditionsreichen Ort zu sein, einem Ort mit so langer Geschichte, zu dem sich die Menschen schon seit Jahrhunderten auf den Weg machen. Das empfinde ich schon so. Und jetzt Ansprechpartner sein zu dürfen für Menschen, die hierher kommen und die teilweise um Gebet bitten, das ist schon etwas Besonderes.“

Der Kohlhagen ist für viele Menschen in der Region ein wertvoller, beliebter und gut frequentierter Ort des Glaubens und der Besinnung. Wie wird Ihre Tätigkeit von diesen Besuchern angenommen?

Modenbach: „Es ist erstaunlich, wie gut das angenommen wird. Wir haben nicht damit gerechnet, weder wir beide noch die Bistumsleitung, dass tatsächlich so viele Anfragen kommen von allen möglichen Gruppen, Verbänden und Institutionen. Das ist schon sehr viel, andererseits haben wir das ja auch von Anfang an gesagt, dass wir mit den Menschen in Kontakt kommen wollen, dass sie hier willkommen sind, dass sie hier zwei Pallottiner finden, mit denen man sprechen kann. Wir merken, dass viele Menschen Interesse haben, eine geistliche Begleitung zu finden.“

Heite: „Ich habe den Eindruck, dieser Ort gehört den Menschen eh schon. Ich bin schon mit meinen Eltern und meinen Großeltern hier gewesen. Ein Ort, wo man aus der Umgebung generationsübergreifend gern hinkommt. Unsere Chance ist es tatsächlich, an einem solchen Ort präsent sein zu können. Das Gespräch entwickelt sich dann aus sich selbst heraus. Einfach indem man das Signal aussendet, hier kannst du sein, ich höre dir zu. Das entwickelt sich automatisch. Mancher sagt dann hinterher: ‚Ich habe schon lange nicht mehr so offen über meinen Glauben gesprochen.‘ Aber da müssen wir manchmal gar nicht viel dazu tun.“

Wenn man sich die Großwetterlage der Kirche anschaut, die Missbrauchskrise, die insgesamt schwierige Lage der Kirche: Spielt das hier auf dem Kohlhagen eine Rolle?

Modenbach: „Das ist natürlich der Hintergrund, den die Leute mitbringen. Es wird auch zum Teil thematisiert. Viele machen auch deutlich, dass sie das bedrückt, aber sagen dann auch, dass sie Glauben und Kirche hier vor Ort noch einmal ganz anders erleben. Dann geht es zuallererst um die Menschen selber, um ihren Glauben und ihre Fragen. Dann treten die leidigen Kirchenthemen etwas in den Hintergrund.“

Heite: „Die kritischen Themen sitzen natürlich in den Knochen, gerade auch bei denen, die an ihrem Glauben hängen. Es ist mehr als eine Haltung des Kritisierens oder der Besserwisserei. Unter den Vorwürfen des Missbrauchs und Machtmissbrauchs leiden getaufte Menschen, weil sie das nie in dem Maß für möglich gehalten haben und weil sie enttäuscht sind. Das ist ja nicht nur eine Oberflächen-­Empörung, sondern das verstört einen ja auch im Tiefsten des eigenen Glaubens, der einfach schlicht und ergreifend von Vertrauen lebt. Das ist ein großer Vertrauensbruch, den wir da erleben. Diese Enttäuschung darüber ist mehr als verständlich, aber die Gelegenheit, das auch äußern zu dürfen, gerade auch gegenüber jemandem aus dem hauptamtlichen Teil von Kirche, das ist für viele eine große Erleichterung. Dass man da aus seinem Herzen keine Mördergrube machen muss, das ist schon einmal der erste und wichtigste Schritt.“

Ein wichtiger Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die geistliche ­Begleitung, die Seelsorge, aber auch Auszeiten, Einzelexerzitien: Das erfordert viel Zeit, ­haben Sie die?

Heite: „Geistliche Begleitung ist für viele noch ein ziemlich unbekanntes Feld. Aber das zieht Kreise und spricht sich rum. Ich bin manchmal erstaunt, welche Anfahrtswege Leute dafür in Kauf nehmen. Es ist eine riesige Chance, dass ich aus meinem Leben erzähle und ein anderer hört zu und gibt mir ein Feedback aus einer christlichen Haltung heraus. Das ist einfach eine Chance und wird genutzt, ist aber kein Flächenphänomen. Aber wir ermutigen dazu.“

Modenbach: „Manche fragen auch an wegen eines Beichtgesprächs. Es ist für uns natürlich auch eine Frage für uns, ob wir das schaffen, wenn auch ­Gruppen kommen und Exerzitien stattfinden. Natürlich haben wir keine unbegrenzten Kapazitäten.“

Wie ist Ihr Einzugsgebiet? Kommen vor allem Menschen aus der Region auf den Kohlhagen?

Heite: „Bei mehrtägigen Angeboten waren schon Leute aus Flensburg, Lüneburg oder Frankfurt da, die zu Exerzitien-­Angeboten kommen. Bei den Sonntagsgottesdiensten in der Wallfahrtskirche kommen die Leute aus einem Umkreis von einer halben Stunde bis Dreiviertelstunde Autofahrt, aus dem Raum Netphen, Deuz, Hilchenbach, Freudenberg, Siegen, aus dem Märkischen Sauerland oder aus Finnentrop. Es spricht sich langsam herum.“

Modenbach: „Wir haben keine eigenen Übernachtungsmöglichkeiten. Das war eine Entscheidung, die wir von Anfang an getroffen haben. Wir arbeiten mit den umliegenden Einrichtungen zusammen, konkret mit dem Landhotel Gut Ahe direkt in der Nachbarschaft, das bietet 40 Betten in 13 Zimmern. Dort ­bekommen wir unsere Besucher meist unter. Das hat sich gut bewährt.“

Zu Ihren Schwerpunkten gehört auch die Evangelisierung. Kommen Sie auch in Kontakt mit glaubensfernen oder kirchenfernen Menschen?

Heite: „Es gibt viele Gelegenheiten, die sich auf dem Lebensweg ergeben, angefangen bei Schulgottesdiensten etwa des Gymnasiums Maria Königin in Lennestadt. In den Kirchen findet man aktuell wenige Kinder und Jugendliche. In der Schule sind sie natürlich. Da gibt es dann eine Jahreswallfahrt hierher, an der ca. 800 Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Wir sind regelmäßig in der Schule, manchmal auch in Unterrichtseinheiten. Religionslehrer fragen uns dann an. Es gibt Gelegenheiten, wo wir zu Diskussionsabenden eingeladen werden oder zu besonderen Gottesdiensten und Einkehrtagen.“

Modenbach: „Zu uns kommt zum Beispiel auch die Hospital­gesellschaft Südwestfalen, die bei uns Fortbildungen für ihre Mitarbeiter macht. Die ­Referentin, die die Kurse leitet, bezieht uns immer ganz bewusst mit ein, damit wir aus unserem christlichen Blickwinkel etwas sagen oder einen Impuls mitgeben. Für mich ist das, wenn Sie so wollen, ­Evangelisierung pur. Denn viele haben da nicht unbedingt noch etwas mit Kirche oder Glauben zu tun. Da hat man dann schon Gelegenheit, Zeugnis zu geben oder etwas zu sagen, was einem selbst wichtig geworden ist und was man selbst für wertvoll hält. Das sind gute Gelegenheiten.“

Zur Idee für das Geistliche Zen­trum gehört auch die Beobachtung, dass viele Klöster und Ordensniederlassungen in der Region geschlossen wurden. Kann dieses Zentrum sie ersetzen?

Modenbach: „Wir sind ja beide Pallottiner, die vor allem für das Pallottihaus in Olpe hier in der Region bekannt sind. Nun gibt es das Pallottihaus nicht mehr, aber die Leute kennen die Pallottiner und vertrauen ihnen und wissen, was sie an uns haben. Das ist schon für manche eine Motivation zu sagen, wir fahren jetzt mal zu den Pallottinern auf dem Kohlhagen. Ich glaube, die Leute spüren schon, dass Ordensleute noch mal ein anderes Standing haben als die Seelsorger in ihrer Gemeinde, wobei ich die auf keinen Fall abwerten möchte. Aber Ordensleute nehmen sie etwas anders war, weil sie nicht so in die Strukturen und Bürokratie eingebunden sind. Hier finden sie normalerweise auch immer jemanden, mit dem sie mal sprechen können. Wenn Sie heute irgendwo an der Pfarrhaustür klingeln, ist das nicht so einfach.“

Heite: „Das ist einfach die Notwendigkeit, in der Fläche die Dienste so zu organisieren, dass es für alle etwas gibt. Das heißt dann aber auch, ich bin nicht immer erreichbar. Natürlich sind auch wir nicht immer erreichbar, aber die Chance ist recht hoch, jemanden zu finden.“

Wie lange werden Sie auf dem Kohlhagen bleiben?

(Beide lachen)

Heite: „Wir haben erst angefangen.“

Modenbach: „Bei Pallottinern gibt es da keine Vorgabe. Das Bistum hat uns Pallottinern aber eine Bedingung gestellt: Ihr müsst wenigstens für zehn Jahre hier bleiben. Wir selbst haben uns keine Grenze gesetzt. Wir gucken einfach. Ich bin inzwischen auch über 60. So viele Erwartungen an noch etwas anderes habe ich nicht.“

Heite: „Personen sind nicht einfach austauschbar. Seelsorge ist Beziehungs- und Vertrauensarbeit. Und dieses Vertrauen bekommt man heute nicht mehr automatisch, weil man ein bestimmtes Amt in der Kirche hat. Das muss sich im Mit­einander bewähren. Das braucht auch Zeit. Wenn wir in der Kirche nur von Aufgaben her denken, ist das viel zu kurz gedacht. Hinter den Aufgaben müssen immer Personen stehen. Daher bin ich kein Freund davon, Seelsorge-­Aufgaben zu schnell zu wechseln.“

Die beiden Patres Siegfried Modenbach (links) und Jürgen Heite betreuen seit Juli 2021 die Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung auf dem Kohlhagen. (Fotos: Jonas)

Info

Die beiden Patres Siegfried Modenbach (links) und Jürgen Heite leben seit dem Sommer 2021 im Wallfahrtsort Kohlhagen. Zuvor waren die beiden Pallottiner zwölf Jahre lang, von 2007 bis 2019, im Kath. Forum in Dortmund tätig. Pater Modenbach, geboren 1962, legte seine erste Profess 1992 im Alter von 30 Jahren ab. Er wurde 1995 von Bischof Franz Kamphaus in Limburg zum Priester geweiht. Vorher war er zunächst im Priesterseminar im Bistum Fulda, bevor er Sozial­pädagogik studierte. Pater Jürgen Heite, geboren 1970, studierte zunächst auf Lehramt, bevor er sich den Pallottinern anschloss und 2000, ebenfalls im Alter von 30 Jahren, seine erste Profess ablegte. 2004 wurde er zum Priester geweiht.

Mit Pater Heite und Pater ­Modenbach sprach Markus Jonas

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