Herbsttagung an der Kommende – Weckruf zur Kurskorrektur

Die Referenten der Herbsttagung des Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreises mit Diözesan­administrator Monsignore Dr. Michael Bredeck (vorne, Mitte): Dr. Bernhard Koch, Dr. Eckhard ­Lübkemeier, Professor Dr. Patrick Sensburg, Monsignore Professor Dr. Peter Schallenberg und Professor Dr. Christian Rehtanz (v. l.). (Foto: Thomas Throenle)

Nach dem Schock der russischen Invasion in die Ukraine stand mit dem Thema „Europa – Friedensprojekt in Zeiten des Krieges“ die Sicherheitspolitik im Mittelpunkt der Herbsttagung des Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreises der Kommende Dortmund.

Paderborn (pdp). In Deutschland sei die Landes- und Bündnisverteidigung als zentrale staatliche Aufgabe lange vernachlässigt worden, erklärten die Referenten bei der Veranstaltung im Bildungs- und Tagungshaus Liborianum in Paderborn. Angesichts der geopolitischen Veränderungen in der Welt wurde eine übergreifende sicherheitspolitische Strategie gefordert. Eine weitere gesellschaftliche Herausforderung sei die Akzeptanz der Verteidigungspolitik in der Bevölkerung. Der interdisziplinäre Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis berät die Leitung des Erzbistums Paderborn in aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Er wird geleitet von Monsignore Professor Dr. Peter Schallenberg. Erstmals war Diözesan­administrator Monsi­gnore Dr. Michael Bredeck beim Gremium.

„Der Schock traf nicht nur die Politik“

Kein anderes Land sei „so kalt“ vom russischen Angriffskrieg auf die Ukrai­ne erwischt worden wie Deutschland, erklärte Dr. Eckhart Lübkemeier, Botschafter a. D. und Gastwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin. „Der Schock traf nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft insgesamt.“ Nach dem Ende des Kalten Krieges habe man sich zu sehr auf die Stabilität der europäischen Friedens­ordnung verlassen. Die Landes- und Bündnisverteidigung müsse wieder erste Aufgabe der Bundeswehr werden, forderte Dr. Lübkemeier.

Auch das 21. Jahrhundert werde von Kriegen gekennzeichnet sein, sagte Professor Dr. Patrick Sensburg, Rechtswissenschaftler der Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW und Präsident des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr. Die Annahme eines Jahrhunderts des Friedens sei illusorisch. Dies gelte auch für Europa. Die beiden Referenten plädierten für eine eigenständige deutsche und europäische Sicherheitspolitik im Rahmen der ­NATO. Es sei in ihrer Sichtweise naiv, sich auf die Schutzmacht USA zu verlassen.

Zur christlichen Friedensethik

Dr. Bernhard Koch, Stellvertretender Direktor des Hamburger Institutes für Theologie und Frieden, machte in seinem Referat auf die Differenz einer theologischen Friedensethik zu politikwissenschaftlichen Annahmen aufmerksam. Theologische und kirchliche Stellungnahmen zu kriegerischen Konflikten würden oft irritierend wirken. „Die christliche Friedensethik hat als Ausgangspunkt das Verhältnis des Einzelnen zu seinen Mitmenschen“, erklärte Dr. Koch. Christliche Friedensethik umfasse daher immer auch personale Dimensionen sowie Tugenden und Haltungen und ziele auf die sittliche Integrität. Ihr Inhalt sei traditionell das wechselseitige Wohlwollen – ein hehres Ideal, das im kriegerischen Konflikt unrealistisch wirke.

Die zentrale Frage im kriegerischen Fall sei für die Friedens­ethik das Recht auf Selbstverteidigung, also auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten. „Wie weit darf solche Gegen­gewalt gehen?“, fragte Dr. Koch. Im russischen Krieg gegen die Ukrai­ne scheine das Recht auf Selbstverteidigung eindeutig. In der ethischen Reflexion würden sich aber grundsätzliche Fragen stellen. „Wem kommt das Recht auf Selbstverteidigung zu? Gibt es Grenzen der Verhältnismäßigkeit legitimer Selbstverteidigung, etwa um zu vermeiden, Menschen sinnlos in den Tod zu schicken? Wie hoch ist die Erfolgswahrscheinlichkeit der Gegengewalt oder inwieweit dürfen oder müssen Dritte die Selbstverteidigung eines angegriffenen Staates beispielsweise durch Waffenlieferungen unterstützen?“

Weitere Berichte aus dem Erzbistum Paderborn finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe.

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