Gehen oder bleiben? – Andreas Sturm über seinen Kirchenaustritt

Andreas Sturm über seinen Kirchenaustritt

Andreas Sturm mit Lesung zu Gast in Menden. „Kann man in diesem Verein noch bleiben oder nicht?“ Auf diese Frage eines Zuhörers scheint sich das Unbehagen in der ­katholischen Kirche für viele Gläubige zugespitzt zu haben.

Menden. Das machte die Autorenlesung mit dem ehemaligen Generalvikar von Speyer, Andreas Sturm, im Mendener Theater am Ziegelbrand deutlich. Der Referent las aus seinem Buch „Ich muss raus aus dieser Kirche“, dessen Titel er auf seine Person bezog, aber nicht als Empfehlung für die Allgemeinheit ausgab. Vielmehr rief er dazu auf, nicht aufzugeben, sondern sich „aktiv und entschieden“ für Veränderungen in der Kirche einzusetzen. Sturm war im Mai dieses Jahres nicht nur als Generalvikar zurückgetreten, sondern hatte auch die katholische Kirche verlassen. Heute ist er Seelsorger einer alt-­katholischen Gemeinde.

Andreas Sturm: „Es kommt da­rauf an, hinzusehen und die Dinge anzusprechen.“

Missbrauchs- und Vertuschungsskandale, der Umgang mit dem Zölibat, enttäuschte Reformhoffnungen der Basis. Wer hätte da ein interessanterer und kompetenterer Gesprächspartner sein können als dieser prominente Insider und Aussteiger? So füllten denn auch mehr als 70 Zuhörer die Ränge bis zum letzten Platz. „Und wir hätten noch weit mehr Karten verkaufen können“, berichtete Buchhandlungsinhaber Andreas Wallentin.

Kritisch, aber auch selbstkritisch stellte sich der Autor Fragen des Publikums, unter ihnen viele ältere Menschen.  Angesichts Zigtausender von Missbrauchsfällen an Kindern verurteilte er „die Mentalität, erst den Priester zu schützen, weil er ein Mann Gottes ist“. Stattdessen müsse ein System geschaffen werden, „dass den Kindern geglaubt wird und die Fälle aufgedeckt werden“. Deswegen die Kirche zu verlassen „wäre schade“. Es komme da­rauf an, hinzusehen und die Dinge anzusprechen.

Machtstrukturen und der Zölibat sind das Problem

Daraufhin erwähnte eine Zuhörerin den Fall eines Pfarrers, der einem wiederverheirateten Gläubigen die Kommunion verweigert hatte, aber später als Missbrauchstäter entlarvt worden sei. Bei solchen skandalösen Widersprüchen zwischen dem, was man predigt, und dem, was man tut, sei es kein Wunder, dass viele Menschen die Kirche ­verlassen. Die Machtstrukturen und der Zölibat seien das Pro­blem. Andere ­Zuhörer/-innen klagten über zu wenig ­Mitspracherechte in den Gemeinden.

Sturm gab den kritischen Stimmen recht und untermauerte sie. Er sprach sich für die Abschaffung des Pflichtzölibats aus, das unendlich viel Leid gebracht habe. Ferner machte er sich für die Reform der Kurie und eine Stärkung der Ortskirchen ebenso stark wie für mehr Freiheit der Lehre. Einerseits zeigte er große Sympathie für die weltumspannende Einheit und den Charakter der katholischen Kirche, andererseits forderte er mehr Tempo bei den Reformen. „Man darf sich nicht immer nur am Langsamsten ausrichten. Dann bewegt sich gar nichts. Die Kirche könnte mehr tun, wenn sie sich selbst treu und eine visionäre Gemeinschaft bleibt.“ Im Syno­dalen Weg und in Aufbruchsbewegungen wie „Wir sind Kirche“ oder „­Maria 2.0“ sieht er gute Ansätze.

Oft sind es laut Sturm gerade die engagierten Christen, die der Kirche den Rücken kehren, weil sie mit ihren Aktionen und Ideen „ständig vor die Wand laufen“. Die KAB Menden, die die Autorenlesung mitveranstaltete, ist aktiv und der Kirche verbunden. Wie ihr Vorsitzender Werner Bilstein berichtete, sind die jüngsten Aktiven „knapp unter 80“.

Helmut Rauer

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