„Die Ukraine nicht sich selbst überlassen“

„Die Ukraine nicht sich selbst überlassen“, fordert Vikar Ihor Tril. Er ist seit 2015 Priester im Pastoralverbund Nord-Ost-­West und betreut dort auch die ukrainische Gemeinde. Ihor Tril stammt aus Lwiw, Lemberg, mit 730.000 Einwohnern die ­wichtigste Stadt der Westukraine.

"Die Ukraine nicht sich selbst überlassen", fordert Vikar Ihor Tril. Er ist seit 2015 Priester im Pastoralverbund Nord-Ost-­West und betreut dort auch die ukrainische Gemeinde.

Vikar Ihor Tril ist seit 2015 Priester im Pastoralverbund Nord-Ost-­West und betreut dort auch die ukrainische Gemeinde. Ihor Tril stammt aus Lwiw, Lemberg, mit 730.000 Einwohnern die ­wichtigste Stadt der Westukraine. Das Gespräch mit Vikar Ihor Tril fand am vergangenen Freitag statt. Mit Ihor Tril sprach Karl-Martin Flüter.

Herr Tril, Sie kommen aus Lwiw. Ihre Familie lebt dort. Wie geht es Ihren Familienangehörigen? 

Vikar Ihor Tril: „Die Menschen sind in großer Sorge und Not. Besonders heute wegen des Beschusses des Atomkraftwerkes Saporischschja. Das ist ein Terrorismus der russischen Truppen, der den ganzen europäischen Kontinent betrifft.“

Wie stellen sich die Menschen in Lwiw auf mögliche Angriffe ein? Im Moment ist es dort noch ruhig, aber die russische Armee kann auch bis nach Lwiw vordringen.

Vikar Ihor Tril: „Ich bin sicher, dass alles vorbereitet ist und das ukrainische Militär alles im Griff hat. Die Menschen wissen, was sie tun müssen. Viele Menschen helfen anderen. Sie leisten Hilfen für die Gemeinschaft und für Betroffene. Das ist sehr gut, dass die Menschen in der Heimat zusammenhalten. Jeder macht, was er machen kann. Es sind viele Flüchtlinge aus den weiter östlichen Gebieten in Lwiw oder sie machen dort Station auf ihrem Weg zur Grenze.“

Haben Sie schon Kontakt mit Flüchtlingen, die sie in Paderborn aufnehmen könnten?

Vikar Ihor Tril: „Wir halten uns an das Verfahren, das in der EU und in der Bundesrepublik Deutschland vereinbart wurde. In der kommenden Woche sollen die ersten Menschen kommen.“

Sie sind Seelsorger der griechisch-­katholischen Gemeinde in Paderborn. Wie groß ist die Gemeinde, wie viele Ukra­iner leben in Paderborn?

Vikar Ihor Tril: „Unsere Gemeinde ist noch im Aufbau. In Paderborn sind 250 Ukrainer gemeldet. Außerdem leben in Paderborn viele Ukra­iner, die deutsche Staatsbürger sind. Unsere Gemeinde entwickelt sich, besonders in dieser schwierigen Zeit.“

Wie hat sich die Paderborner Gemeinde auf den Krieg eingestellt?

Vikar Ihor Tril: „Wir haben schon Hilfsmittel gesammelt und nach Lwiw geschickt. Wir arbeiten mit den Salesianern in der Ukraine zusammen, die Kindern, Jugendlichen und Familien helfen. Zurzeit bereiten wir uns auf die Flüchtlinge vor. Es gibt auch schon einen festen Ansprechpartner für Flüchtlinge: Witalij Gamerman. Wir haben Kontakt mit der Caritas Paderborn und der Stadt Paderborn aufgenommen. Alle sind bereit, mit allem zu helfen, was ihnen zur Verfügung steht.“

Gerade die Stadt Lwiw hat eine europäische Geschichte. Ist das Bewusstsein, Europäer zu sein, besonders stark ausgeprägt?

Vikar Ihor Tril: „Der erste ukrainische Staat war „Kiewer Rus“. Die Ukrainer sind das Volk, das die Freiheit liebt. Uns wurde die Freiheit mehrmals weggenommen. Wir haben aber immer danach gestrebt. Die Freiheit ist ein europäischer Wert. Wer sie besitzt oder anstrebt, kann Europäer genannt werden. Meine Stadt Lwiw und die ganze Ukraine sind ein europäisches Land. Heute wollen uns die Invasoren diese europäischen Werte wegnehmen.“

Die Widerstandskraft, der Mut und die Entschlossenheit, die wir seit der Invasion der Russen bei den Ukrainern beobachten können – kommt das aus diesem Gefühl der Freiheit?

Vikar Ihor Tril: „Ja. Der Widerstand wächst auch deshalb, weil wir seit 2014 sehen, wie unmenschlich die Russen in Luhansk und Donezk gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Ich habe mich heute noch über die Menschen in der Ost­ukraine und in den betroffenen Gebieten der Ukraine informiert. Es ist nicht zu fassen, wie die Russen dort gezielt die Infrastruktur zerstören, Schulen, Krankenhäuser. Das ist schrecklich. Das wurde schon als Genozid am ukrainischen Volk bezeichnet.“

Woher kommt dieser Hass von Putin auf die Ukraine?

Vikar Ihor Tril: „Als Geistlicher antworte ich Ihnen: Das kommt vom Teufel, diese Besessenheit, die Wut, die Brutalität, der Hass.“

Worauf hoffen Sie in der aktuellen Situation?

Vikar Ihor Tril: „Ich hoffe, dass der Krieg enden wird. Ich erwarte auch, dass uns geholfen wird. Es geht um Unterstützung. Das ist die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Man darf die Ukraine nicht so einfach sich selbst überlassen.“

Es ist besonders wichtig, die Wahrheit in den Medien zu verbreiten. Leider ist das in Russland nicht möglich. Die staatlich gelenkten Medien in Russland haben die Menschen in Russland seit vielen Jahren manipuliert und indoktriniert. Der Hass auf die Ukraine und die Ukrainer wurde so systematisch verbreitet. Auch dagegen muss man etwas tun. Wie ist es möglich, auch in Russland die Wahrheit zu sagen? Das ist die entscheidende Frage.

Was befürchten Sie, wenn die Russen in der Ukraine siegen sollten? Was wird dann geschehen?

Vikar Ihor Tril: „Die Russen werden nicht über die Ukraine siegen. Gott wird uns helfen.“

Weitere Informationen und Berichte zum Krieg in der Ukraine finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe.

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