09.06.2021

Damit der Glaube eine neue Heimat findet

Auferstehen aus Ruinen soll diese Fabrikhalle in Leipzig und Heimat der syrisch-orthodoxen Gemeinde werden. Vor wenigen Wochen fuhren einige Mitglieder der Gemeinde an einem Sonntagnachmittag dorthin, um zusammen mit Pfarrer Abuna Philip Essa ein erstes Gebet zu sprechen und den Segen Gottes zu erbitten.Fotos: Adeo-Verlag, Gemeinde St. Severus

von Michael Winter

Vertrieben durch den islamistischen Terror fanden Christen aus dem Nahen Osten auch in Leipzig Zuflucht. Dort gründeten sie eine Gemeinde und starten jetzt den Aufbau einer eigenen Kirche. Unterstützt werden sie dabei auch von dem Ordensmann und Schriftsteller Andreas Knapp.

Natürlich schreibt Andreas Knapp noch Gedichte. Erst vor Kurzem hat er unter dem Titel „noch knapper“ einen Band mit „99 Miniaturen über Gott und die Welt“ veröffentlicht. Allerdings hat der aus Buchen-Hettingen im Neckar-Odenwald-Kreis stammende Schriftsteller, Priester und Ordensmann in den letzten Jahren auch viele „Texte“ geschrieben, die nichts mit Lyrik und Literatur zu tun haben. Denn seit in die Leipziger Plattenbausiedlung, in der Andreas Knapp mit drei weiteren „Kleinen Brüdern vom Evangelium“ lebt, christliche Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak eingezogen sind, ist er immer wieder als Helfer in schwierigen Situationen gefragt. „Schreiben“, das war für ihn fortan auch das Ausfüllen von Anträgen und Formularen für Behörden oder das Jobcenter, mit dem die Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind, alleine hoffnungslos überfordert wären.

Viele von ihnen hat Andreas Knapp in den letzten Jahren näher kennengelernt. Ihre Geschichten haben ihn tief berührt– ebenso die lange und bewegte Geschichte der Christen im Nahen Osten, die seit Jahrhunderten unter Diskriminierung und Verfolgung leiden. Bis hin zur Vertreibung aus ihren angestammten Gebieten durch den Terror des sogenannten Islamischen Staates.

Andreas Knapp besuchte selbst die Lager und Unterkünfte im Norden des Irak, in denen viele Christen aus der Ninive-Ebene und aus zerstörten Städten wie Mossul und Karakosch Schutz gefunden hatten. Um dann ein ebenso spannendes wie informatives und berührendes Buch über das Schicksal der aramäischen Christen zu schreiben, die ihre Wurzeln in der Urkirche haben. Bis heute feiern sie ihre Liturgie in aramäischer Sprache, der Sprache Jesu.

Fast alle haben Angehörige durch den IS-Terror verloren

Zwar ist der Islamische Staat im Irak inzwischen offiziell besiegt. Aber dass die syrisch-orthodoxen Christen wieder in ihre Heimat zurückkehren, erscheint nahezu undenkbar. Auch nach dem Ende der Islamisten herrscht dort eine Atmosphäre der Diskriminierung und Drangsalierung.

Und so haben in Leipzig, wie auch andernorts, Christen aus dem Irak und aus Syrien längst begonnen, ein Gemeindeleben aufzubauen. Was sie verbindet, ist zum einen ihr Schicksal: nicht nur, dass sie ihre Heimat verlassen mussten. Fast alle haben auch Angehörige durch den islamistischen Terror verloren. Zum anderen aber ist der lebendige Glaube das Band, das die aramäischen Christen zusammenhält. „Diese Menschen haben für ihren Glauben und ihre Zugehörigkeit zu Christus alles aufgegeben“, sagt Andreas Knapp. „Und wenn man alles zurücklässt, um Christ zu bleiben, ist es wichtig, dass dieser Glaube auch in der neuen Heimat gelebt werden kann und weitergeht.“

In Leipzig gründeten die aramäischen Christen folglich bereits 2015 die syrisch-orthodoxe Gemeinde St.Severus, die wiederum Teil der Erzdiözese der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland ist. Rund 40 Familien gehören dazu. Generationenübergreifend feierten sie von Anfang an Gottesdienste gemäß ihrer eigenen Tradition– freilich immer unter provisorischen Umständen. Das heißt: ohne festen Ort, ohne eigenes Gemeindezentrum.

Lange konnten die syrisch-orthodoxen Christen insbesondere die Gastfreundschaft der katholischen Propsteikirche in Anspruch nehmen, wo sie monatlich Gottesdienst feierten. Dabei kam es aber immer wieder zu Überschneidungen bei der Belegung der Räumlichkeiten. Zudem gibt es natürlich ein tiefes Bedürfnis der syrisch-orthodoxen Gemeinde, einen Gottesdienstraum so einzurichten, wie es ihrer Tradition entspricht und so darin auch ein Stück Heimat zu finden. Das Verständnis von Heimat, so Andreas Knapp, sei für die Christen aus Syrien und aus dem Irak in hohem Maße religiös und spirituell geprägt. „Hierzulande gehört das Religiöse irgendwie dazu, es steht aber nicht im Zentrum“, sagt er. „Aber für die aramäischen Christen ist es das A und O. Eben deshalb sind sie ja von den Islamisten vertrieben worden.“

Immer wieder unüberwindbare Hürden

Letztendlich stand für alle Beteiligten fest, dass die junge Gemeinde St.Severus eine eigene Kirche braucht. Nicht nur, um dort Gottesdienste zu feiern, sondern auch um einen Treffpunkt– gerade für die Kinder und die jungen Mitglieder– zu schaffen und so das Gemeindeleben zu festigen. Inmitten des säkularisierten Leipziger Umfeldes sei dies geradezu eine „Überlebensfrage ihres Glaubens“, betont Andreas Knapp.

Auf den ersten Blick mag es nicht sonderlich schwierig erscheinen, dass eine lebendige syrisch-orthodoxe Diasporagemeinde in oder um Leipzig eine Kirche übernimmt oder baut. Aber das täuscht: Tatsache ist, dass über vier Jahre hinweg sämtliche Anläufe gescheitert sind, wie Andreas Knapp erläutert, der die Gemeinde auch bei ihrer Suche nach einem eigenen Kirchenraum unterstützt hat. Rund 20 Projekte für ein eigenes Kirchengebäude seien „mit viel Energie und Mühe“ geprüft worden, so Knapp. Und mehrmals schien das Ziel fast erreicht, bevor sich dann doch noch unüberwindbare Hürden aufbauten– von zu hohen finanziellen Forderungen bis zu ausländerfeindlichen Haltungen und Äußerungen. Im Herbst letzten Jahres stieß die Gemeinde dann trotz der astronomisch gestiegenen Grundstückspreise in Leipzig wider Erwarten auf ein gutes Angebot auf dem freien Immobilienmarkt. „Alles war verhandelt, die Verträge unterschriftsreif“, so Andreas Knapp. Völlig unerwartet sei dann aber der vereinbarte Notartermin am Vorabend abgesagt worden. „Aus uns bis heute unbekannten Gründen.“

Am Ende wider Erwarten doch noch ein „Volltreffer“

Angesichts dieser Kette von Enttäuschungen hatte die Gemeinde eigentlich schon aufgegeben. Umso mehr empfindet es Andreas Knapp als „Fügung Gottes“, dass er zufällig an einem Bauzaun ein Schild entdeckte, das auf den Verkauf einer leeren Fabrikhalle hinwies. Kurzerhand schrieb er an die aufgeführte Adresse, die sich als „Volltreffer“ erwies. Der Leiter des Ingenieurbüros war ein engagierter freikirchlicher Christ, der nicht nur aufgeschlossen war, sondern es geradezu als eine Mission verstand, der kleinen syrisch-orthodoxen Gemeinde zu einer Kirche und einem Gemeindezentrum zu verhelfen. Mit seiner Unterstützung und mithilfe von Spenden konnte die Gemeinde St.Severus das Grundstück und die Fabrikhalle erwerben.

Was jetzt ansteht, ist der stufenweise Umbau zu einem Raum, der als Kirche wie auch als Versammlungsort dienen kann. Dazu kommt natürlich auch der Einbau von Küche, Sanitäranlagen und kleinen Gruppen- und Büroräumen. Am Ende soll das Gemeindezentrum ökumenisch genutzt werden, denn auch die rum-orthodoxe Gemeinde von Leipzig, das sind Christen aus Syrien, die den byzantinischen Ritus pflegen, wird dort einziehen.

Es werden noch einige Hunderttausend Euro benötigt, um dieses Projekt zu verwirklichen. Andreas Knapp hatte ursprünglich vor, dafür auf „Lesetournee“ zu gehen. Rund 50 Veranstaltungen waren geplant, deren Erlös St.Severus zugutekommen sollte. Aber dann kam Corona. Insofern ist die Bitte um Spenden derzeit der einzige Weg für die syrisch-orthodoxen Christen, um Gelder zu generieren. Andreas Knapp macht sich diesen Aufruf zu eigen: „Damit der lang gehegte Wunsch einer neuen Heimat für die aus dem Orient vertriebenen Christen schrittweise erfüllt werden kann.“

Andreas Knapp unterstützt die syrisch-orthodoxen Christen in Leipzig sowohl im Alltag als auch bei ihrem Kirchenprojekt. In seinem Buch „Die letzten Christen“ (Adeo-Verlag) hat er die Geschichte sowie die Flucht und Vertreibung der Christen aus dem Nahen Osten eindrücklich beschrieben.

Info

Die syrisch-orthodoxe Gemeinde St.Severus in Leipzig wurde 2015 gegründet und ist Bestandteil der Erzdiözese der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland. Die Gemeinde setzt sich größtenteils aus Menschen zusammen, die von Islamisten aus ihrer Heimat im Irak und in Syrien vertrieben wurden. Für den Umbau einer erworbenen Fabrikhalle zur Kirche und zum Gemeindezentrum braucht sie Unterstützung:

Kontoinhaber: Gemeinde St. Severus in Leipzig 

IBAN: DE68860100900985917902 

BIC: PBNKDEFF 

Verwendungszweck: Kirche und Gemeindezentrum 

Nähere Informationen auf der Internetseite der Gemeinde St.Severus: www.syrisch-orthodox-leipzig.de

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